San Sebastián will Wunden des Terrors schließen

San Sebastián (dpa) — Ein bildschöner Badestrand am Stadtzentrum, ein Umland mit sattgrünen Wiesen und Wäldern sowie Schauplatz renommierter Film- und Musikfestivals: Eigentlich bräuchte San Sebastián keine zusätzlichen Attraktionen, um Besucher in die nordspanische Küstenstadt locken.

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Als Europäische Kulturhauptstadt 2016 hat die baskische Metropole sich jedoch etwas Besonderes vorgenommen.

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Sie will kein Feuerwerk spektakulärer Shows entzünden, sondern die Bürger und Besucher in das kulturelle Programm einbeziehen.

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„In unserer Stadt hat es schon immer viele kulturellen Initiativen gegeben“, sagte Pedro Subijana stolz. Der Starkoch leitet eines der bekanntesten Restaurants in Spanien und war einer der Vorreiter der „neuen baskischen Küche“, die vor 40 Jahren in ganz Spanien Aufsehen erregte. Die baskische Kochkunst wird auch einer der Schwerpunkte im Programm der Kulturhauptstadt sein.

Subijana richtete dafür den „offiziellen Pintxo“ an. Die Pintxos (Imbiss-Spießchen) sind eine Spezialität der Stadt mit 190 000 Einwohnern, die auf Baskisch Donostia heißt. „Man hatte mich darum gebeten“, berichtete Subijana der Deutschen Presse-Agentur. „Ich habe zugesagt, weil ich mich bei meiner Heimatstadt revanchieren wollte für all das, was sie mir gegeben hat.“

Aufgrund seines milden Klimas diente San Sebastián den spanischen Königen, die der Hitze in Madrid entfliehen wollten, lange Zeit als sommerliche Residenz. Dies führte dazu, dass die Stadt prachtvolle Alleen und Paläste erhielt. Der berühmte Strand La Concha lockt eine halbe Million Touristen im Jahr an.

Bis vor wenigen Jahren lag jedoch ein Schatten auf der Perle an der spanischen Atlantikküste. San Sebastián war wie kaum eine andere Stadt vom Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA betroffen. Es herrschte eine Atmosphäre der Angst, Politiker konnten sich nur mit Leibwächtern auf die Straße wagen, Unternehmer wurden zur Zahlung von Schutzgeldern — der sogenannten Revolutionssteuer — erpresst.

Die Überwindung dieses Klimas des Hasses und der Angst war eines der Motive, die San Sebastián zur Bewerbung um die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt bewogen hatten. „Die Stadt brauchte etwas, um das Trauma zu überwinden“, sagte Pablo Berástegui, Direktor des Projekts San Sebastián 2016, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Leute sollten etwas bekommen, das sie an die Zukunft der Stadt glauben lässt.“

Das Programm der Kulturhauptstadt umfasst rund 100 Projekte in Bereichen der Kunst, des Tanzes, des Kinos, der Musik, der Architektur und der Gastronomie. Die Veranstalter verfolgen damit das Ziel, die Stadt vom Image des Terrors und der Gewalt zu befreien. „Wir wollen die Kultur als einen Faktor des Wandels nutzen“, sagte Bürgermeister Eneko Goia. „Sie soll uns dabei helfen, die noch vorhandenen Wunden zu schließen.“

Als das Programm vorbereitet wurde, war die ETA noch aktiv. Vor vier Jahren erklärte die Terror-Organisation eine „definitive Waffenruhe“ und verübt seither keine Anschläge mehr. San Sebastián hatte sich aber auch in Zeiten des Terrors durch ein lebendiges Kulturleben ausgezeichnet. Die Stadt veranstaltet ein angesehenes Jazzfestival und internationale Filmfestspiele, die zu den wichtigsten in Europa gehören. Zudem verfügt sie über den „Kursaal“, ein großes Kongress- und Kulturzentrum des Stararchitekten Rafael Moneo.

„Seit die ETA erledigt ist, hat die baskische Gesellschaft sich gewandelt“, konstatierte José Luis Rebordinos, der Direktor des Filmfestivals. „Jetzt können Leute, deren ideologische Anschauungen entgegengesetzt sind, wieder normal zusammenleben.“ Der Bürgermeister ergänzt: „Wir haben seit dem Ende des Terrors einen großen Sprung nach vorne getan. Das sieht man im Alltagsleben der Stadt. Dennoch bleibt uns noch viel zu tun.“

Für die Veranstalter war es ein weiter und schwieriger Weg zur Kulturhauptstadt. Politische Streitigkeiten und Kompetenzgerangel warfen die Vorbereitungen wiederholt zurück. Der eigentliche Initiator war der frühere Bürgermeister Odón Elorza gewesen. Als der Sozialist von dem baskischen Separatisten Juan Karlos Izagirre im Amt abgelöst wurde, kam es zum offenen Konflikt.

Das spanische Kulturministerium und die baskische Regionalregierung zogen sogar vor Gericht. Sie meinten, der Auftrag zur Veranstaltung eines Kongresses über Sprachen von Minderheiten sei nicht ordnungsgemäß erteilt worden. Unternehmen weigerten sich, die Kulturhauptstadt zu sponsern.

Die Gemüter beruhigten sich erst, als nach den Wahlen im Mai 2015 der gemäßigte Nationalist Goia neues Stadtoberhaupt wurde. „Wir sind bei den Vorbereitungen wieder im Zeitrahmen“, frohlockten die Veranstalter kürzlich. Die Stadt und die Provinz Guipuzcoa steuern je 12,7 Millionen Euro zum Etat von insgesamt 49 Millionen Euro bei. Die baskische Regierung gibt 12,2, das Madrider Kulturministerium 4,6 Millionen Euro. Die übrigen Gelder kommen von der EU und privaten Sponsoren.

Die Veranstalter stehen nun vor der Herausforderung, Besucher anzulocken mit einem kulturellen Programm, das ohne Effekthascherei und ohne große Namen auskommen will. San Sebastián will als Kulturhauptstadt ein großes Forum von Ideen sein. Der Direktor Berástegui gab die Devise aus: „Die Kultur fürs Zusammenleben“.

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