Rückblick und Bilanz : Fünf Jahre nach der Kölner Silvesternacht
Köln Die Kölner Silvesternacht vor fünf Jahren markiert für viele das Ende der Willkommenskultur. Den anschließenden Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs sehen Forscher heute kritisch.
Die 20 Jahre alte Frau aus dem Landkreis Rottweil in Baden-Württemberg war nach Köln gekommen, um dort mit Freundinnen Silvester zu feiern. Als sie abends im Hauptbahnhof ankamen, fielen ihnen gleich die „vielen ausländischen Männer“ auf. Auf dem Weg nach draußen spürte die 20-Jährige im Gedränge, wie ihr jemand an den Po fasste. Kaum war sie auf den Bahnhofsvorplatz getreten und hatte ihr Handy gezückt, um den Dom zu fotografieren, als es ihr von hinten aus der Hand gerissen wurde. Mehr als ein Jahr später schilderte sie den Vorfall als Zeugin vor einem Kölner Gericht.
Viele andere Frauen haben in der berüchtigten Kölner Silvesternacht vor fünf Jahren Ähnliches erlebt. Sie wurden sexuell bedrängt oder beraubt, überwiegend von jungen Männern mit ausländischem Hintergrund. Die körnigen verschwommenen Handybilder gingen damals um die Welt: im Vordergrund junge, dunkelhaarige Männer, die Feuerwerk in die Menge schießen, im Hintergrund die Portale, Fenster und Strebebögen der Kathedrale, die wie kaum ein anderes Bauwerk in Deutschland für das „christliche Abendland“ steht.
Fünf Jahre nach den Ereignissen ist die strafrechtliche Aufarbeitung weitgehend abgeschlossen. Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft gingen insgesamt 1210 Strafanzeigen ein. Angeklagt wurden letztlich 46 Personen. 36 von ihnen wurden verurteilt. Fünf der 46 Angeklagten wurden wegen sexueller Nötigung angeklagt, verurteilt wurden zwei. Aus Sicht der Opfer sicher ein mageres Ergebnis, doch von Seiten der Justizbehörden heißt es, die Beweisführung sei in solchen Fällen schwierig.
Die Kölner Silvesternacht bezeichnet einen Wendepunkt in der Flüchtlingsdebatte. Viele sprachen vom Ende der Willkommenskultur, es folgte ein monatelanger Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs. Nach Erkenntnissen des Sozialpsychologen Andreas Zick kam es dabei zu einer Überbetonung von Kriminalität durch Migranten, „die nicht übereinstimmte mit der Kriminalstatistik, insbesondere bei der Frage: Welche Gruppen sind anfällig für Straftaten?“
Umfragen hätten gezeigt, dass als Folge davon Polarisierungseffekte in der Bevölkerung eingetreten seien. So sei die Zustimmung zu dem Satz „Wir sollten stärker darauf achten, nicht von Migranten überrannt zu werden“ von 28 Prozent im Jahr 2014 auf 42 Prozent 2016 gestiegen, so Zick. Der Berliner Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba sieht es ähnlich: Das Thema der sexuellen Gewalt habe durch die Silvesternacht ein „Framing“, eine Einbettung, bekommen - es sei nun in erster Linie mit Fremden verknüpft worden. „Es wurde suggeriert: Wenn wir die fremden jungen Männer fernhalten, dann halten wir uns damit auch dieses Problem vom Hals. Dabei wissen wir schon lange, dass über drei Viertel der sexuellen Übergriffe durch Freunde und Familie stattfinden. Die große Bedrohung kommt also nicht von außen, sondern von innen.“ Erst durch die MeToo-Bewegung sei das wieder zurechtgerückt worden.