Prozess: Marco will sich frei schreiben

Der 18-Jährige veröffentlicht ein Buch über seine Erlebnisse in der Türkei. Sein Anwalt legt daher sein Mandat nieder.

Uelzen. Marco Weiss sagt, er habe das Schweigen nicht mehr ausgehalten. Deshalb hat er auf 200 Seiten seine Erlebnisse aufgeschrieben: Heute erscheint das Buch "Marco W. - meine 247 Tage im türkischen Knast" im kleinen Hamburger Kinderbuch-Verlag.

Offenbar war es auf das Ende seines Prozesses in Antalya hin geschrieben, doch der wurde erst am Mittwoch auf den April 2009 vertagt.

Das Buch erscheine früher als geplant, weil "das Interesse so riesig ist", sagt Verleger Carlos Schumacher. "Letzten Endes gab das Schicksal meines Vaters den Ausschlag für meinen Entschluss, meine Geschichte gerade jetzt veröffentlichen zu lassen", sagt Marco. "Ich nehme die Risiken in Kauf. Meinem Vater, der an Leukämie leidet, geht es wieder schlechter."

Vor einem Jahr kehrte Marco Weiss nach 247 Tagen Untersuchungshaft in der Türkei nach Deutschland zurück. Der damals 17-Jährige soll im Urlaub mit seinen Eltern in der Nacht vom 10. auf den 11. April 2007 die damals 13 Jahre alte Britin Charlotte sexuell missbraucht haben.

Die Bild-Zeitung druckte Auszüge aus dem Buch, auch zum verhängnisvollen Abend mit der Engländerin: "Sie tastete mit ihren Fingern schon über meine Brust. War angenehm, zugegeben. Deshalb streckte ich meinen Arm aus, streichelte ihr Gesicht und ihre Schultern. Sie schob ihre Hand erst unter meinen Pulli, ließ ihre Finger dann langsam nach unten wandern." Doch noch ehe es richtig angefangen habe, "war bei mir schon alles vorbei", schreibt Marco Weiss. Aus Scham habe er das Zimmer danach verlassen.

Marcos Verteidiger Matthias Waldraff legte umgehend sein Mandat nieder, als er von der Veröffentlichung erfuhr. "Ich habe stets versucht, Schaden von Marco und dem Prozess in Antalya abzuwenden", sagte er.

Mit dem Erscheinen des Buches während des laufenden Verfahrens sehe er keine Möglichkeit mehr, in diesem Sinne zu wirken. Zwar habe man von dem Buchprojekt gewusst, der Zeitpunkt der Veröffentlichung habe ihn und seine Kollegen jedoch "entsetzt" und "völlig überrascht".

Sein Kollege Michael Nagel vertritt Marco Weiss auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin jedoch weiterhin. Die Motive von Marco seien nachvollziehbar und verstehbar. Offensichtlich habe er aber die daraus entstehenden möglichen Konsequenzen nicht zu Ende bedacht. Nagel bezeichnete den jungen Mann als schutzbedürftig und rät ihm von öffentlichen Auftritten ab.

Marcos Istanbuler Anwalt warnte seinen Mandaten davor, in seinem Buch das türkische Gericht zu kritisieren. Das könne als Versuch zur Beeinflussung eines laufenden Verfahrens ausgelegt werden, was in der Türkei strafbar sei.

Der Anwalt des mutmaßlichen Opfers Charlotte hat bereits angekündigt, den Bericht des 18-Jährigen auf belastende Details hin zu prüfen. Das Buch könnte das seit fast anderthalb Jahren laufende Verfahren auch noch weiter in die Länge ziehen.

Der Verleger Carlos Schumacher sagte, Marco habe sich gleich nach seiner Rückkehr im Dezember 2007 an ihn gewandt. Im Frühjahr habe er mit der Arbeit an dem Buch angefangen. Schumacher sagte gegenüber Spiegel Online, einen Ghostwriter habe es nicht gegeben. Allerdings habe Willi Schmitt, ehemaliger Chefredakteur von Sport-Bild, das Projekt begleitet.

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