Polizei nimmt den Jobcenter-Chef fest

Nach der friedlichen Demonstration von 400 Menschen gegen den Aufmarsch der Rechten in Wuppertal steht jetzt die Polizei in der Kritik.

Polizei nimmt den Jobcenter-Chef fest
Foto: A. Fischer

Wuppertal. Die Demonstration der Partei „Die Rechte“ im Wuppertaler Stadtbezirk Barmen ist weitestgehend friedlich über die Bühne gegangen. Die Polizei schrieb fünf Strafanzeigen und nahm zwei Menschen aus dem Lager der rund 400 Gegendemonstranten fest. Eine Statistik, die nicht weiter aufhorchen ließe — wäre eine der Personen, die von Polizisten zu Boden geworfen und abgeführt wurden, nicht Thomas Lenz, Vorstandsvorsitzender des Wuppertaler Jobcenters, gewesen. Die Polizei bestätigte dieser Zeitung, dass sie Lenz im Rahmen der Gegendemonstration am Nachmittag in Gewahrsam genommen und ihn am Abend wieder entlassen habe. Zu den Hintergründen könne man sich erst heute genauer äußern, hieß es gestern von der Polizei.

Polizei nimmt den Jobcenter-Chef fest
Foto: Stefan Fries

Ein Video der Festnahme veröffentlichte am Abend der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Bialas mit der Frage: „Ist das die neue Robustheit? Alles rund um die Demo wird Thema im Innenausschuss des Landtages NRW“. Das Video war bereits gestern mehr als 100 000 Mal aufgerufen worden. Bialas hat damit im Internet eine wilde Diskussion um die Vorgehensweise der Polizei eröffnet und ist damit auch Ziel von Kritik geworden (siehe unten). Unter anderem deswegen, weil das Video — das Bialas nicht selbst aufgenommen hat — die Frage offen lässt, was in den Sekunden vor dem robusten Zugriff der Polizei überhaupt passiert ist.

Thomas Lenz hat direkt nach dem Vorfall einen Anwalt eingeschaltet. Es gebe weitere Videobeweise und Zeugenberichte, die den Vorfall weiter beleuchten. „Ich freue mich auf die Aufarbeitung des Vorfalls“, sagte Lenz im Gespräch mit dieser Zeitung. Der Zugriff der Polizei sei „sehr martialisch“ erfolgt. „Ich bin geschlagen worden“, so Lenz, der mögliche Verletzungen untersuchen lässt.

Sprung zurück: Bei der Gegendemonstration auf dem Berliner Platz gegen 13 Uhr war die Stimmung noch entspannter. Angemeldet hatte das Bündnis „Kein Naziaufmarsch in Wupperfeld und Barmen — Ölbergfest statt Nazidemo!“ allerdings zwei andere Kundgebungsorte — am Wupperfelder Markt und vor dem Jobcenter an der Bachstraße. Die Polizei erklärte vor Ort, dass der Protest direkt am Berliner Platz ebenfalls als eine Versammlung gewertet werden müsse und forderte die Teilnehmer auf, einen Versammlungsleiter zu benennen, der den Beamten als Ansprechpartner dient. Spontan stellte sich für diese Aufgabe Daniel Kolle aus dem Vorstand der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz zur Verfügung, die wie unter anderem die Wuppertaler SPD zur Gegendemo am Berliner Platz aufgerufen hatten. „Mir war nicht klar, dass eine Anmeldung nötig ist“, gab Kolle gegenüber dieser Zeitung zu, kurz bevor der frischgebackene Versammlungsleiter mit dem Lautsprecher die Polizei-auflagen unters Volk brachte.

Bis die Partei die Rechte mit einer Stunde Verspätung ihre erste Kundgebung am Berliner Platz startete, gab es auf der prall gefüllten Seite der Gegendemonstranten viel Zeit zu diskutieren. Thema Nummer Eins war zu diesem Zeitpunkt noch immer die Tanzveranstaltung des Hauses der Jugend, die wegen des Rechtenaufzugs an der B 7 vom Veranstalter vorsorglich abgesagt wurde.

Der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh (SPD), der später auf dem Wupperfelder Markt noch eine improvisierte Rede hielt, sagte: „So etwas darf nicht noch einmal passieren.“ Er frage sich, ob die Polizei nicht doch auf einen anderen Laufweg der Rechten-Demo hätte bestehen können, notfalls mit dem Gang vors Verfassungsgericht. Auf jeden Fall sei die Kommunikation zwischen Stadt und Polizei verbesserungswürdig. Wuppertals SPD-Unterbezirksvorsitzender Heiner Fragemann: „Wir finden, dass das fehlendes Fingerspitzengefühl der Polizei war.“ Grünen-Fraktionschef Marc Schulz fand es „unbegreiflich, dass die beiden Veranstaltungen kein Mensch einmal nebeneinandergelegt hat“.

Gegen 15.50 Uhr war der Spuk der Rechten vorbei. Helge Lindh fragte sich: „Schafft man denen vielleicht zu viel Aufmerksamkeit?“ Auch in Berlin müsse er aufpassen, dass die rechtspopulistische AfD nicht immer die Themen vorgebe. Sozialdezernent Stefan Kühn (SPD) war auch unter den Demonstranten und sprach sich deutlich dafür aus, in Wuppertal Farbe zu bekennen: „Wir überlassen den Rechten nicht die Straße und die öffentliche Meinung.“´

Für den Bürger waren die Demonstrationen mit Einschränkungen im Bus und Bahnverkehr verbunden sowie mit einer kurzzeitigen Sperrung der B7. Der erst kürzlich ins Amt gesetzte Polizeipräsident Markus Röhrl, der das Demonstrationsgeschehen auf dem Berliner Platz verfolgte, sagte: „Natürlich stört das den Bürger, aber ich meine, die Stadt muss so etwas aushalten können.“

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