Politik und Ärzte nach Organspende-Skandal unter Druck

Regensburg (dpa) - Der Organspende-Skandal an den Unikliniken in Göttingen und Regensburg setzt die Politik zunehmend unter Handlungsdruck. Ordnungsrahmen und Regelwerk der Transplantationsmedizin in Deutschland werden immer lauter hinterfragt.

Der Patientenverband Deutsche Hospiz Stiftung forderte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Freitag zum Eingreifen auf. Dieser berief ein Krisentreffen für Ende August ein, andere Politiker verlangten harte Strafen, während der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, wiederum Regierung und Justiz in Bayern Versagen vorwarf. Die Transplantationszentrale Eurotransplant im niederländischen Leiden forderte mehr Kontrollen.

Bahr will Konsequenzen bei einem Krisentreffen mit Vertretern aller Beteiligten erörtern: „Ich erwarte Vorschläge, wie künftig Manipulationen und andere Verstöße besser zu verhindern sind.“ Zu dem Termin am 27. August sind der Kassen-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Stiftung Eurotransplant, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Bundesärztekammer, die ständige Kommission Organtransplantation sowie die Überwachungs- und Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer eingeladen.

Die Vorgänge in Göttingen und Regensburg dämpfen derweil die Bereitschaft zur Organspende. In fünf Fällen hätten Angehörige in den vergangenen zwei Wochen in Deutschland eine Organentnahme ausdrücklich mit dem Hinweis auf diesen Skandal abgelehnt, sagte die Sprecherin der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Birgit Blome, der Nachrichtenagentur dpa in Frankfurt am Main.

Unterdessen wird spekuliert, dass der beschuldigte Oberarzt am Klinikum Regensburg kein Einzeltäter war. Die Staatsanwaltschaft hat dafür aber keine Anhaltspunkte. Die Prüfungen stünden noch am Anfang, sagte Markus Pfaller von der Staatsanwaltschaft Regensburg. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte berichtet, dass der beschuldigte Oberarzt wahrscheinlich kein Einzeltäter war. „Wir können das zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen. Wir können keine Vermutungen und Spekulationen anstellen“, sagte Pfaller der dpa.

Auch nach dem Weggang des nun beschuldigten Oberarztes war die Zahl der Lebertransplantationen in Regensburg drastisch gestiegen. Nach Angaben des Klinikums erhöhte sich die Zahl binnen Jahresfrist um fast 50 Prozent - von 52 Transplantationen im Jahr 2008 auf 76 im Jahr 2009. Im vergangenen Jahr sank die Zahl wieder auf 63. Die Klinik erklärte dazu, der Anstieg lasse sich mit einem Ausbau des Lebertransplantationsprogramms seit 2003 erklären. Zudem könne die Zahl der tatsächlich transplantierten Organe auch aufgrund personeller Fluktuation sowie der Verfügbarkeit von Spenderorganen schwanken.

Für Ärztepräsident Montgomery tragen die bayerischen Behörden die Hauptschuld. Im rbb-Inforadio sagte er: „In Bayern haben gerade die staatlichen Gremien versagt, denn wir haben damals mit der Selbstverwaltung diesen Fall aufgedeckt. Wir haben mit den bayerischen Institutionen gesprochen. Niemand hatte auch nur die Spur eines Interesses, diesen Fall damals zu verfolgen“, sagte Montgomery.

Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) wies dies zurück: „Da die jetzt bekannten Verdachtsfälle völlig anders gelagert waren, sind diese im damaligen Verfahren nicht untersucht worden.“ Justizministerin Beate Merk (CSU) betonte, die Ermittler hätten keine konkreten Nachweise gefunden.

Nach Klinikangaben waren damals verbotenerweise jordanische Patienten auf die Transplantationsliste für europäische Patienten gelangt. Außerdem war eine Leber illegal in Jordanien transplantiert worden. Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl hatte am Donnerstag erklärt, das Verhalten des Arztes sei nicht strafbar gewesen. Es habe keinen Anlass für weitere Ermittlungen gegeben.

Nun steht der als „Doktor O.“ bekannte Oberarzt aber unter Verdacht, zuerst in Regensburg und später im Göttinger Uniklinikum Krankenakten gefälscht zu haben. Dabei soll er die Krankheit auf dem Papier verschlimmert haben, damit den Patienten schneller eine neue Leber implantiert wurde - obwohl andere sie vielleicht nötiger gehabt hätten. Der Arzt, der seit November vom Dienst suspendiert ist, bestreitet nach Angaben der Göttinger Klinik die Vorwürfe.

„Die Verantwortlichen müssen mit aller Härte des Strafrechts zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier, der selbst seiner Frau eine Niere gespendet hatte. Es müsse zudem geprüft werden, ob den in illegale Praxen verwickelten Transplantationszentren die Lizenzen entzogen wird.

Angesichts des Skandals forderte die Transplantationszentrale Eurotransplant im niederländischen Leiden mehr Kontrollen. „Die jetzigen Erfahrungen zeigen, dass das derzeitige Kontrollsystem durch gezielte Falscheingaben manipuliert werden kann“, sagte der medizinische Direktor von Eurotransplant, Axel Rahmel, der dpa. Eurotransplant ist eine internationale Stiftung, die Spenderorgane an Patienten in sieben europäische Länder vermittelt und auch die Organvergabe nach Deutschland koordiniert. Für eine zusätzliche Kontrolle sprach sich auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation aus: „Man muss aus dem Fall sicher die Konsequenz ziehen, dass man eine zusätzliche Kontrolle einführen muss“, sagte der medizinische Vorstand der Stiftung, Professor Günter Kirste.

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