Pflicht zur Hilfe – aber nur ohne eigenes Risiko

Analyse: Debatte nach der Bluttat von München: Wann ist es strafbar, nicht zu helfen?

Düsseldorf. Zwei junge, kräftige Männer prügeln auf einem Bahnsteig ihr Opfer zu Tode - und trotz Hilferufen greift keiner der etwa 15 Umstehenden ein. So soll es bei dem Tötungsdelikt am Münchener S-Bahnhof Solm zugetragen haben, als ein 17- und ein 18-Jähriger einen 50-jährigen Geschäftsmann zu Tode schlugen und traten.

Eigentlich eine klare Sache, mag man denken: Die Augenzeugen waren feige, haben dem Opfer nicht geholfen und sollten wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden.

Doch so klar ist die Sache eben nicht. Der entsprechende Paragraf 323c des Strafgesetzbuches ist zwar relativ kurz gefasst, hat aber mehrere Einschränkungen.

Da ist zunächst die Frage nach der Möglichkeit der Hilfeleistung: War es dem Beobachter überhaupt möglich, helfend einzugreifen? So kann beispielsweise niemand erwarten, dass ein Nichtschwimmer, der einen Ertrinkenden beobachtet, sich selbst in die Fluten stürzt. In diesem Fall kann der Nichtschwimmer nur versuchen, Hilfe zu holen - beispielsweise über sein Handy.

Eine weitere wichtige Einschränkung ist die Zumutbarkeit: Konnte man von dem potenziellen Helfer tatsächlich ein unmittelbares persönliches Eingreifen verlangen? Das verneint der Gesetzgeber, wenn sich der Helfer dabei selbst in eine "erhebliche eigene Gefahr" begeben würde. Beispielsweise, wenn ein gebrechlicher Rentner einen durchtrainierten Bodybuilder körperlich attackieren müsste. Auch in diesem Fall wäre ein Notruf per Handy ausreichend.

Theoretisch hätten in München alle Augenzeugen mit einer gemeinsamen Aktion die Täter überwältigen können. Doch auch in diesem Fall gilt für jeden Einzelnen die persönliche Einschätzung: Kann ich das ohne erhebliche Gefahr für mich leisten? Immerhin kann niemand voraussagen, wie und auf wen die brutalen Schläger einprügeln, bevor die Gruppe sie überwältigen kann.

Letztlich entscheidend ist aber, dass der Straftatbestand des § 323c nur vorsätzlich begangen werden kann: Der Täter muss wissen, dass er tatsächlich helfen könnte, sich aber bewusst gegen diese Hilfe entscheiden. Diesen Vorsatz gerichtsfest nachzuweisen, gelingt allerdings selten.

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