Noten für Lehrer? Warum denn nicht?

Zwei Vertreter des umstrittenen Internet-Portals Spickmich treten gegen zwei Lehrer an. Dabei geht es über harte Bande.

Herr Dicks, wie erklären Sie sich den Erfolg von Spickmich?
Dicks (Spickmich): Wir haben mit der Lehrerbenotung einen Nerv getroffen. Es wird deutlich, dass es in deutschen Schulen keine Feedback-Kultur gibt und dass Schüler ein großes Interesse daran haben, ihre Lehrer kritisieren zu können. Und zwar nicht immer von Angesicht zu Angesicht, sondern durchaus anonym.

Boese (Lehrerin): Da muss ich Herrn Dicks widersprechen. Eine Feedback-Kultur kann so nicht entstehen. Meine Kritik setzt schon beim Aufbau des Portals an. Es geht um die Bewertung und die Relevanz der Aussagen.

Woran stören Sie sich denn?
Boese:
Das Verfahren ist selektiv. Ich unterrichte vielleicht 200 Schüler - sechs haben mich bewertet. Das reicht aber, um auf die Bewertungsliste zu kommen.

Dicks: Inzwischen müssen zehn Schüler Noten abgegeben haben.
Boese:
Das ändert nichts. Außerdem ist es anonym. Wenn eine Feedback-Kultur ernsthaft an einer Schule praktiziert wird, dann brauche ich auch das Gespräch mit den Schülern. Und das Verfahren ist manipulativ. Die sechs, zehn Schüler, die mich benotet haben, unterrichte ich vielleicht gar nicht. Oder sie sind längst von der Schule abgegangen.

Remmert (Lehrer): So sehe ich das auch. In einem Schuljahr hatte ich 247 Schüler. Wenn mich zehn schlecht bewerten, dann sind die anderen zufrieden, oder? Wer einen Lehrer benotet, muss das Visier öffnen. Ich habe Probleme stets über Klassensprecher oder Elternvertreter geregelt. Wichtige Fragen wurden durch das Vier-, Sechs- oder Acht-Augen-Gespräch weitestgehend geklärt.

Weidenhiller (Spickmich): Das ist eine super Sache, wenn Sie das Gespräch mit den Schülern suchen. Spickmich ist kein Ersatz für das persönliche Gespräch. Ideal wäre es, wenn der Lehrer auf der Seite sieht: "Oh, da habe ich eine schlechte Note, obwohl ich dachte, ich gebe guten Unterricht." Das sollte für ihn Anreiz sein, sich mit den Schülern zusammenzusetzen. Denn es gibt nur wenige, die sich trauen, ihren Lehrern zu sagen, was ihnen nicht passt.

Remmert: Wir haben doch genug Ansprechpartner. Je mehr eingeschaltet werden, desto komplizierter wird es doch.

Dicks: Da muss ich ganz klar widersprechen. Schule darf kein schwarzer Karton sein, in den keiner reingucken kann. Immerhin ist Schule eine Hierarchie, und die von Ihnen erwähnten Strukturen taugen oft nichts. Ein Feedback muss anonym stattfinden können, denn ein Schüler hält seinen Kopf hin, wenn er dem Lehrer sagt, dass er unmotiviert ist und miesen Unterricht macht. Das hat Konsequenzen.

"Wenn sich nur die schlechten Schüler anmelden würden, wäre die Durchschnittsnote der Lehrer nicht 2,7."

Philipp Weidenhiller

Gibt es da Beispiele, Herr Dicks?
Dicks:
Wir hatten das Visier, von dem Sie sprechen, Herr Remmert, zum Teil offen. Da konnten Lehrer zwar nicht sehen, was für Noten die Schüler ihnen gaben, aber schon, dass sie von Schüler XY bewertet wurden. Daraufhin schleiften Lehrer diese Schüler zum Direktor und stellten sie vor die Alternative: Entweder du verlässt die Seite oder die Schule. Da mussten wir reagieren. Außerdem sind wir kein wissenschaftliches Feedback, sondern ein Meinungsforum. Ärzte und Professoren werden im Internet bewertet. Und ich meine, auch Lehrkräfte sollten damit umgehen können.

Deutsche Lehrer haben doch schon Schwierigkeiten damit, von einem Kollegen Kritik oder Hilfe anzunehmen.
Boese:
Da haben wir noch ein Altersproblem. Die jüngeren Lehrer sind da viel aufgeschlossener. Aber ich bleibe dabei: Spickmich ist unseriös. Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Und wir werden den Richtern deutlich machen, dass Manipulationen möglich sind.

Sollten die Lehrer nicht lockerer mit dem Portal umgehen?
Boese:
Wir entwickeln als Lehrkräfte einen Spaßfaktor. Wir lassen uns registrieren, loggen uns quer durch Deutschland in Schulen ein. Damit beweisen wir die Manipulation.

Weidenhiller: Ich muss einhaken. Das ist keine Manipulation. Manipulation wäre es, wenn Sie an einer fremden Schule einen Lehrer benoten und diese Note dann in seine Beurteilung einfließt.

Boese: Ich kann aber Noten geben.

Weidenhiller: Diese Wertung wird aber nicht mitgezählt, denn wir haben viele Sicherungsmaßnahmen. Wir überprüfen die User, die Region. Jeden Tag bekommen wir tausende Bewertungen. Nur wenige müssen wir aussortieren, weil sie manipulativ sind. Der Nutzer bekommt das nicht mit.

Dicks: Das gilt genauso für Schüler, die ihren Lehrern eins auswischen wollen. Wenn ein Lehrer überall gute Noten bekommt und plötzlich eine schlechte, wird die aussortiert.

Boese: Es geht mir auch um den Realitätsgehalt einer Note. Was weiß ich, aus welchen Gründen ein Schüler mich bewertet. Aus Spaß? Aus Feigheit? Wir sind dafür ausgebildet, Noten zu geben.

Remmert: Das ist unsere Dienstpflicht.

Boese: Ja. Und die Noten müssen juristisch anfechtbar verteidigt werden. Ich muss meine Noten mit vielen Kriterien begründen. Wenn Spickmich Schule verändern soll, dann bitte nicht so.

Dicks: Nein, Frau Boese. Ohne Spickmich würde kein Mensch über eine Feedback-Kultur an deutschen Schulen sprechen.

Remmert: Was sind denn faire Noten, was heißt cool und witzig? Alle Kriterien sind mir zu verschwommen und dehnbar.

Dicks: Bei unseren Bewertungskriterien gibt es Erklärkästchen. Haben Sie sich das mal angeschaut?

Boese: Ein Feedback ist nötig, aber auf objektiverer Basis.

Also meinen Sie auch, dass Lehrer Kritik annehmen müssen?
Boese:
Ich wünsche mir ein System, in dem sich Schüler wohl fühlen und sich mit ihren Lehrern austauschen. Daran arbeiten wir. Wenn Spickmich ein Anstoß ist, habe ich das akzeptiert.

Dicks: Vielen Dank für das Zugeständnis.

Boese: Aber wir müssen das System auf eine solide Basis stellen.

Die gab es früher nicht?
Weidenhiller:
Nein, wir haben eine Lücke gefüllt. Anhand der Noten sehe ich als Lehrer endlich, ob meine Schüler etwa meine Prüfungen als zu schwer empfinden.

Boese: Es wird immer welche geben, die etwas als zu schwer oder zu leicht empfinden. Deshalb brauche ich das Feedback von allen. Jetzt melden sich vor allem die schlechten.

Weidenhiller: Wenn sich nur die schlechten Schüler bei uns anmelden würden, wäre die Durchschnittsnote der Lehrer nicht 2,7.

Dicks: Holen Sie sich denn ein Feedback von allen?

Boese: Natürlich. Ich bin mit den Schülern im Gespräch.

"Mit Spickmich betreiben Sie eine weitere Demontage des Lehrerberufs."

Gerhard Remmert

Weidenhiller: Das ist die Rückmeldung von Ihnen für den Schüler, aber nicht umgekehrt. Kein Schüler würde zu Ihnen kommen und sagen: Frau Boese, bei den Noten haben Sie gewürfelt.

Fehlt also das Vertrauen?
Remmert
: Natürlich gibt es empfindliche und konfliktscheue Lehrer. Besonders dann, wenn der Unterricht ständig kritisiert wird von Schülern, Eltern, in den Medien. Mit Spickmich betreiben Sie eine weitere Demontage des Lehrerberufs.

Dicks: Diesen Vorwurf finde ich ziemlich schlimm.

Weidenhiller: Wir sind kein Beleidigungsforum und rufen auch nicht zur Hetze gegen Lehrer auf.

Dicks: 65 Prozent aller Schüler sagen, mein Lehrer hat eine 1 oder 2 vor dem Komma verdient. So sieht keine Demontage aus.

Boese: Wie viel Bildung der Gesellschaft wert ist, wird aber nicht hinterfragt. Man kann die Kritik nicht nur bei den Lehrern abladen. Auch die Eltern müssen was tun. Dann verbessert sich auch das System Schule.

Gibt es Alternativen, Frau Boese?
Boese
: Ein gutes Beispiel für eine Feedback-Kultur hat die Uni Jena mit dem Test "Schüler als Experten für Unterricht" (Sefu) entwickelt. Schülern einer Gruppe und den Lehrern wird dabei ein Fragebogen rund um den Unterricht online zur Verfügung gestellt. Die Teilnahme ist auch anonym. Doch der Lehrer weiß, um welche Klasse es geht und kann mit ihr den Austausch suchen. Wir sind bereits im Gespräch mit dem NRW-Schulministerium, um Sefu auch hier einzuführen.

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