Noël Godin: Der freundliche Torten-Terrorist

Der Belgier Noël Godin ruft zur Sahne-Attacke auf Prominente, die „sich in tragischer Weise wichtig nehmen“.

Brüssel. In einem Land wie Belgien, dessen Politik oft surreale Züge trägt, ist einer wie Noël Godin nicht bloß akzeptiert. Er ist vielmehr Bestandteil der heimischen Kultur.

Der Schriftsteller, Literaturkritiker und Verfasser eines Sammelbands über Umsturz und Zerstörung hat weder ein politisches noch ein ästhetisches Programm. Er wirft bloß Sahnetorten in die Gesichter derjenigen, die seiner Meinung nach großspurige Hochstapler sind - "öffentliche Personen, die sich in tragischer Weise wichtig nehmen und die zugleich Macht und Einfluss ausüben". Und denen Humor scheinbar völlig abgeht.

Godin ist im alltäglichen Umgang ein freundlicher Mensch, mit einem herzlichen Lachen öffnet er seine Tür. Die Wohnung gleicht der Höhle von Ali Baba, allerdings bestehen die hier bis zur Decke aufgetürmten Schätze aus Büchern und Notizzetteln.

Seine Torten-Treffer-Liste ist beeindruckend: Den ehemaligen Währungsfonds-Chef Michel Camdessus hat er mitten im Gesicht erwischt, auch Joschka Fischer. Französische und belgische Künstler blieben nicht von seinen Angriffen verschont, darunter Jean-Luc Godard oder der französische Publizist Bernard-Henri Lévy.

Lévy, für viele Linksintellektuelle eine Reizfigur, wurde in den vergangenen 20 Jahren Jahren gleich sieben Mal von Godin und seiner "Torten-Kamikaze-Truppe" angegriffen.

Die Tortenwürfe selbst folgen dabei strengen Regeln. Godin geht immer mit klassischen Torten ans Werk, die im wesentlichen aus Schlagsahne und Biskuit bestehen - daher bezeichnet er seine Gruppe auch als gewaltfrei. Die Torte muss im Gesicht landen, der Werfer muss "Gloup, gloup" rufen und einen auf das Opfer gemünzten Spruch im klassischen Alexandriner-Versmaß hinterherschieben. "Wir torten es ein, wir torten es ein, das großspurige Gürkchen", hieß es bei Lévy.

Natürlich gerät Godin hin und wieder in Schwierigkeiten, wird etwa wegen Körperverletzung angezeigt. Er musste auch schon mal 2500 Euro Strafe zahlen. Philosoph Lévy hat versucht, ihn zu würgen und ihm ins Gesicht zu schlagen. Durch eine Aktion bei den Filmfestspielen in Cannes hat sich Godin eine lebenslange Sperre für das Festival eingehandelt.

Bisheriger Gipfel seiner "Torten-Therapie" war eine Attacke auf Microsoft-Gründer Bill Gates. Die Bilder, die wie eine Szene aus einem alten Schwarz-Weiß-Stummfilm wirken, gehen noch immer um die Welt. Bedauert er eigentlich eine seiner Angriffe? Hat er jemals jemanden "eingetortet", der eine solche Schmähung eigentlich nicht verdient hat? "Ja, den Filmmacher Godard", sagt Godin.

Denn er war der einzige, der wirklich gut auf die Torte reagiert habe. Godard habe sich nämlich selbst ganz ruhig die Sahne aus dem Gesicht gewischt und gesagt: "Tja, genau so hat irgendwann das Kino angefangen - mit Torten, die anderen ins Gesicht geschmissen werden". Dank der strengen Regeln und weil beim Interview keine dritte Person anwesend war, hat der Autor dieses Texts übrigens die Wohnung unbeschädigt verlassen.

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