Nippen, kippen, Kinderklinik

Betrunkene Jugendliche unter 18Jahren landen in der Kinderabteilung – und es werden immer mehr.

Mönchengladbach. Sie ist 16, ihr Zustand bedrohlich. Ihre Freundinnen haben den Krankenwagen gerufen, weil sie einfach vom Stuhl gefallen ist und sich nicht mehr bewegte. Mit Blaulicht bringt sie der Krankenwagen in die Mönchengladbacher Kinderklinik Maria von den Aposteln. Dort angekommen, schieben die Sanitäter das leblose Mädchen in die Notaufnahme. Es ist kurz nach Mitternacht.

Die erste Diagnose von Stationsärztin Johanna Havran: Alkoholvergiftung. Von der Wand blicken aufgemalte Elefanten und Kamele, auch Käpt’n Blaubär ist da. Die Lampen an der Decke werfen Licht und Kälte in den Raum, in dem es nach Desinfektionsmitteln und auch ein bisschen nach Angst riecht.

Doch das bekommt Katharina nicht mit. In der Welt, in der sie grade ist, gibt es kein Krankenhauspersonal und keinen Käpt’n Blaubär, nur Nebel. "Alle unter 18-Jährigen kommen automatisch in die Kinderklinik, wenn ein Notfall vorliegt. Dass wir uns so oft um volltrunkene Jugendliche kümmern müssen, ist einfach erschreckend", sagt Johanna Havran. Es seien zwar in den vergangenen Jahren nicht mehr geworden, aber die Jugendlichen mit Alkoholvergiftung werden immer jünger.

Katharina hat sich ein wenig zusammengerollt. Sie riecht. Nach einer Mischung aus Alkohol, Schweiß und Urin. Ihre Fingernägel sind rosa lackiert. Aufgemalte Herzchen glitzern ein bisschen. Die Freundinnen, mit denen sie getrunken hat, sind inzwischen auch angekommen. Katharinas Mutter hat sie gefahren.

"Das haste jetzt davon, Katha", sagt sie. Vorwurfsvoll sieht ihr Blick nicht aus, als Katharina in ein Zimmer geschoben wird. Katharina versucht etwas zu sagen, doch mehr als ein unverständliches Lallen bringt sie momentan noch nicht zustande. Hilflos rutscht ihr Zungenpiercing zwischen den Zähnen hin und her.

Schwester Erika weiß, was sie in solchen Fällen gleich braucht: Sie legt eine große Tüte für die Klamotten, Pappschalen zum Spucken, Tücher und eine riesige Windel bereit. "Die bekommen Kinder und Jugendliche, die volltrunken eingeliefert werden", sagt sie. "Das ist ihnen total peinlich, wenn sie damit am nächsten Morgen aufwachen."

Als sie den Raum verlässt, schüttelt sie den Kopf. Nur ganz leicht, kaum zu sehen. "Diese Kinder tun mir nicht mehr leid. Das Schlimmste ist für mich, dass wir uns an diesen Anblick gewöhnt haben", sagt sie. Auch an manche junge Trinker, die gleich mehrfach eingeliefert werden.

Nur wenig später wird der zweite volltrunkene Jugendliche in dieser Nacht eingeliefert. Wodka Red Bull und dazu noch Bier soll der 16-Jährige mit seinen Freunden getrunken haben, erzählt eine Schwester. Er lebt in einer betreuten Einrichtung. In ihrer Panik, weil der 16-Jährige nicht mehr reagierte, wählten seine Freunde den Notruf.

Inzwischen haben die Schwestern bei Katharina die Infusion angeschlossen. Als die Flüssigkeit mit einem Mittel gegen die Übelkeit gerade anläuft, krümmt sich ihr Körper zusammen. In einem Schwall schießt das Erbrochene aus ihrem Mund und klatscht auf den blanken PVC-Boden.

Im Zimmer nebenan ist gerade eine 14-Jährige aufgewacht, die am Nachmittag ihre Mandeln herausbekommen hat. Jetzt hat sie Sorge, dass sie Weihnachten nicht in der Kirche singen kann. Getrennt durch Welten, vereint im Krankenhaus.

Katharina kämpft noch mit dem Alkohol, den ihr Körper loswerden will. Über ihre Stirn laufen Schweißperlen, ihre Pupillen versuchen einen Punkt zu finden, auf dem sie ruhen können.

"Ich finde das schlimm, wenn wir um den Gesundheitszustand eines Jugendlichen bangen, weil er sich so betrinkt", sagt die Ärztin. "Tragisch ist, wenn wir sie morgens nicht entlassen können." Denn das liegt immer öfter nicht am schlechten Gesundheitszustand der Kinder, sondern an dem der Eltern. "Es kommt vor, dass die morgens noch so blau sind, dass sie den Weg zu uns nicht schaffen und verlangen, dass wir ihr Kind mit dem Krankenwagen nach Hause bringen."

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