Nicht nur gucken–auch anfassen

Zwanglose Treffen bieten einsamen Menschen körperliche Nähe. Die Kleider bleiben an, Sex ist tabu.

Köln. Uwe ist Single. Und doch leidet er nicht an Berührungsarmut. Alle zwei Wochen fährt der 45-Jährige aus dem Bergischen nach Köln, um Unbekannte in den Arm zu nehmen, um fremden Frauen den Rücken zu kraulen oder sich von ihnen die Füße massieren zu lassen. Uwe besucht Kuschelpartys. Deren Regeln sind ebenso einfach wie klar: Die Kleider bleiben an, Streicheln und Zärtlichkeit sind erlaubt, Zungenküsse oder gar Sex sind tabu.

Immer mehr Menschen suchen in dieser Form nach Nähe und Geborgenheit. Seit September 2005 bietet auch der Körpertherapeut Shanti Morawa gemeinsam mit seiner Frau Roswitha die Kölner Kuschelparty an. Jeden zweiten Samstag finden rund 50 Menschen zwischen 20 und 65 Jahren den Weg in den 160 Quadratmeter großen Raum in der Nähe des Doms. "Der Großteil kommt wieder. Es gibt auch Stammgäste, die bei fast jeder Party dabei sind", sagt Morawa.

Zu diesen gehört Uwe. Gewöhnliche Partys seien ihm irgendwann zu belanglos geworden, "mit den gleichen Leuten immer über die gleichen Themen zu reden", meint er. Durchs Internet ist Uwe auf die Kuschelpartys aufmerksam geworden, und auch an sein erstes Mal kann er sich gut erinnern.

Er sei schon nervös gewesen. "Aber was dann kam, hat mich überwältigt. Ich habe mich danach unheimlich wohl und erfrischt gefühlt." Was den 45-Jährigen vor allem begeistert, ist der respektvolle Umgang. Es seien "Partys des guten Benehmens", auf denen jeder auf die Bedürfnisse des anderen eingeht und auch jedes "Nein" akzeptiert wird.

Für Shanti Morawa ist das ein wichtiger Punkt. Durch spielerische Aufwärmübungen wird in Köln bei gedämpftem Licht und leiser Musik die Distanz zwischen den Teilnehmern abgebaut, durch ein Ja-Nein-Spiel ein klarer Rahmen gesetzt. Was dann beim freien Kuscheln geschieht, ob auf der Rauf-Insel oder im Aktiv-Passiv-Bereich, ist völlig offen. Zuweilen bildet sich aus zwei Dutzend Menschen ein Berg aus Leibern, wobei jeder jeden massiert oder krault. Ohne Hintergedanken.

"Der häufigste Kritikpunkt, der uns begegnet, ist der, man könne Berührung von Sex doch nicht trennen", sagt Morawa. Doch das sei sehr wohl möglich, wie bei einer medizinischen Massage ja auch. "Aber in den Arm nehmen wir heutzutage allenfalls noch Menschen, die Trost brauchen."

Für Morawa eine bedenkliche Entwicklung - die von wissenschaftlicher Seite bestätigt wird. "Ich glaube, dass unsere Gesellschaft ein heftiges Defizit an Berührung erlebt." Zu diesem Ergebnis kommt der Dermatologe und Psychotherapeut Prof. Uwe Gieler durch bundesweite Studien. Es gebe seit 1970 klare Anhaltspunkte für einen Trend zur erlebten Vereinsamung, sagt der Leiter der psychosomatischen Klinik Gießen. Doch nicht nur Singles seien betroffen, auch viele Väter trauten sich heute kaum noch, ihre Töchter zu berühren, da sie sich einem ständigen Missbrauchsvorwurf ausgesetzt sehen.

Dabei, sagt der Wissenschaftler, wäre körperliche Nähe für alle wichtig. Das dabei ausgeschüttete Oxytocin, das "Kuschelhormon", stärkt nicht nur die emotionale Bindung zwischen den Partnern, Kuscheln stärkt zudem das Immunsystem und hilft beim Stress-Abbau. Mehr noch: "Berührung ist ein menschliches Grundbedürfnis", betont Gieler. "Sie vermittelt uns das Gefühl, dass wir Menschen in dieser Welt sind."

Auch Anja Weiß holt sich, was sie als Single vermisst, auf Kuschelpartys. Dass es sich dabei um verdeckte Orgien handele, diesem Vorurteil begegnet sie immer wieder. Die Essenerin führt diese Einstellung darauf zurück, dass selbst in vielen Partnerschaften der kleinste Körperkontakt "zu Sex führt". Dabei gebe es eine ganze Fülle von Berührungen ohne sexuellen Touch. Für sie war ihre erste Kuschelparty eine tolle Erfahrung. "Ich bin mit einem euphorischen Glücksgefühl da rausgegangen, satt und genährt", erzählt sie.

Die Begeisterung der 39-Jährigen war so groß, dass sie selbst Kuschelpartys ausrichtete. Uwe aus dem Bergischen hat seine Kuschelparty-Zone gar auf Berlin, Hamburg und London ausgedehnt. Reisen und Kuscheln, sagt er, seien eine schöne Kombination. Eine Hoffnung hat Uwe jedoch so gut wie aufgegeben: Auf einer Kuschelparty eine Partnerin kennenzulernen.

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