Muscheln und Krebse aus Südost-Europa: Einwanderer leben im Rhein

Biologen entdecken bei Inventur Muscheln aus Asien und Krebse aus Südost-Europa.

St. Goar. Langsam hebt der Bagger die Steine vom Grund des Rheins auf das Forschungsschiff „Burgund“. Erst kurz über der Arbeitsplattform öffnet sich der Greifarm, und der Inhalt — große Platten und kleines Geröll — fällt krachend heraus.

Sofort macht sich ein Biologen-Team über den triefenden Steinhaufen her. Schon auf den ersten Blick sind auch Muscheln, Flohkrebse und Schwämme zu erkennen. Aber die Experten auf dem Forschungsschiff der rheinland-pfälzischen Wasserwirtschaft wollen es genauer wissen. In diesen Wochen werden auf Rhein, Mosel und Saar systematisch Proben für eine große Studie gewonnen.

„Der Rhein ist im Wandel“, erklärt Jochen Fischer, Biologe beim Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht. Vor allem seit Öffnung des Main-Donau-Kanals 1992 wandern Tiere und Pflanzen neu in das Flusssystem ein — auch gegen die Strömung.

Jede fünfte Tierart zählt inzwischen zu den Neozoen (neue Lebewesen), die zwischen 60 und 80 Prozent der Individuen bei den Wirbellosen stellen. Die „Internationale Kommission zum Schutz des Rheins“ hat allein zwischen 2001 und 2007 knapp 40 zugewanderte Arten im Rhein nachgewiesen — meist Muscheln und Schnecken.

Beispiel Körbchenmuschel: Sie wird vom Bagger gleich dutzendfach ans Licht geholt. Im Rhein ist die bis zu fünf Zentimeter große Muschel bereits seit 1988 zu Hause — sie stammt aus Asien. Vor sechs Jahren kamen die beige gefärbten Quaggamuscheln aus der Donau dazu.

Etwa zur gleichen Zeit wurden die ersten Grundeln gesichtet. Von den rund 20 Zentimeter großen gedrungenen Fischen sind schon fünf verschiedene Arten aus dem Schwarzmeerraum eingewandert. „Die Grundeln breiten sich derzeit stark in Rhein und Mosel aus“, sagt Fischer. Mancher Angler fange kaum noch einen anderen Fisch.

„Neubürger treffen oft gute Lebensbedingungen an und vermehren sich explosionsartig“, erklärt der Biologe. Nach den Beobachtungen der Forscher gehen die Bestände zehn Jahre später oft wieder zurück. So hätten auch Neozoen mit der Konkurrenz durch Einwanderer zu kämpfen. „Nicht jede eingebürgerte Art ist eine schlechte Art“, betont Fischer. Der Steinkleber etwa, eine Flussschnecke, habe sich gut eingefügt und störe keinen.

Der Rhein hat nach den Worten des Experten inzwischen wieder eine sehr gute Wasserqualität. Unter anderem die Flusskahnschnecke, eine alte Rheinbewohnerin, breite sich wieder aus. Dass sich viele andere heimische Arten mit der Rückkehr in den Lebensraum schwertun, liege vor allem an fehlenden natürlichen Uferstrukturen.

Dennoch machen die Biologen auch erfreuliche Entdeckungen in den Proben, etwa eine Hydropsyche. Das Insekt zählt zu den Köcherfliegen, und die sind selten geworden im Rhein. In rauen Mengen ist dagegen der Höckerflohkrebs zu finden, der über den Main-Donau-Kanal in den großen Strom gelangte und im Verdacht steht, andere Arten zu verdrängen.

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