Mord vor laufender Kamera

Gladbecker Geiseldrama: Vor 20 Jahren hielten zwei Gangster ganz Deutschland in Atem.

Gladbeck/Wuppertal. Es war vor 20 Jahren eines der spektakulärsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte - und Deutschland sah am Fernseher zu: Nach einem missglückten Banküberfall in Gladbeck hielten die Gewohnheitsverbrecher Hans-Jürgen Rösner, Dieter Degowski und ihre Komplizin Marion Löblich vom 16. bis zum 18. August 1988 ganz Deutschland in Atem.

Die Flucht der Gangster quer durch das Land eskalierte und kostete zwei jungen Geiseln und einem Polizisten das Leben. Einige Journalisten verloren jegliche Hemmung, machten sich teils zu Handlangern der Gangster. Erst nach 54 Stunden endete die wilde Fahrt auf der A3 bei Bad Honnef im Kugelhagel der Polizei.

Die Haupttäter wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Löblich bekam neun Jahre Gefängnis, die sie verbüßt hat. Nach Morddrohungen lebt sie jetzt mit einer neuen Identität. Frühestens 2016 kann eine vorzeitige Freilassung Rösners beantragt werden. Für Degowski, der bis mindestens 2013 sitzen muss, läuft ein Gnadengesuch - mit äußerst geringen Chancen.

Das spektakuläre Verbrechen hatte mit einem folgenschweren Fehler der Polizei begonnen. Als Degowski, damals 32 Jahre alt, und der 31-jährige Rösner am 16. August frühmorgens mit zwei Schusswaffen und reichlich Munition in eine Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck eindrangen, schickte die Polizei keinen Zivil- sondern einen Streifenwagen zur Rückseite des Gebäudes. Die Einsatzleiter dachten, es gebe dort keine Fenster - ein Irrtum.

Die Gangster, die eigentlich nur auf den Kassierer warten wollen, bemerken die Polizei, nehmen zwei Geiseln, fordern einen Fluchtwagen und mehr als 400.000 Mark.

Nach der Geldübergabe fahren sie am Abend mit ihren Geiseln im Fluchtwagen los. Noch in Gladbeck steigt Rösners Freundin Löblich zu. Über die Autobahn fahren sie vom nördlichen Rand des Ruhrgebiets nach Bremen. Am Abend des 17. August kapern sie dort einen Linienbus. Kaltblütig stehen sie der Presse Rede und Antwort.

Mit 27 Geiseln an Bord fahren sie auf die Autobahn bis zur Raststätte Grundbergsee. Dort lassen sie die zwei Bankangestellten frei. Als die Polizei Löblich auf dem Weg zur Rastplatz-Toilette vorübergehend festnimmt, erschießt Degowski den 15-jährigen Italiener Emanuele de Georgi. Der Bus nimmt Kurs auf Holland. Bei der Verfolgung verunglückt ein Polizist tödlich. Am Morgen des 18. August fährt der Bus über die Grenze. Wieder fallen Schüsse.

Die Täter erpressen ein neues Fluchtauto und setzen mit den beiden Bremer Geiseln Silke Bischoff und Ines Voitle die Fahrt fort. Auf dem Weg ins Rheinland machen sie Halt in Wuppertal. Rösner kauft in einer Bäckerei belegte Brötchen.

Die Verkäuferin Rosemarie Schimke ist ahnungslos. Sie erkennt den Schwerverbrecher nicht, dessen Gesicht pausenlos im Fernsehen zu sehen ist - die Verkäuferin hört nur Radio. Rösners Waffe hält sie für einen Akku-Schrauber.

In Köln sprechen die Gangster erneut mit Journalisten. Hier kommt es zu der bizarren "Pressekonferenz" im umlagerten Fluchtauto mitten in der Innenstadt. Am Mittag fahren die Geiselnehmer in Richtung Frankfurt am Main davon - ein Boulevardjournalist weist ihnen den Weg.

Auf der A3 bei Bad Honnef greift schließlich ein Spezialkommando der Polizei mit einem dramatischen Ramm-Manöver und Waffengewalt ein. Die 18-jährige Silke Bischoff stirbt durch eine Kugel aus Rösners Waffe, ihre Freundin überlebt schwer verletzt.

Rösner und Degowski zerstreiten sich im Prozess, belasten sich gegenseitig. Degowski lernt später im Gefängnis in Werl Koch und arbeitet in der Anstaltsküche. Ab und zu spricht er mit seinem Verteidiger, Angehörigen und einem Pfarrer.

Rösner, der sich schon lange vor der Tat "Hass" auf die Finger tätowieren ließ, bekommt in Bochum nur gelegentlich Besuch von einer Verwandten. "Ich glaube, ich werde im Knast verrecken."

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