Unglück Mindestens 44 Tote bei Massenpanik auf Fest in Israel - Vorwürfe gegen Polizei

Meron · Tausende strömen zum Lag-Baomer-Fest im Wallfahrtsort Meron. Doch dann bricht plötzlich Panik aus - und viele Menschen sterben im Gedränge. In den Morgenstunden wurden erste Vorwürfe gegen die Polizei laut.

 Ersthelfer versorgen in Meron Menschen nach einer Massenpanik, bei der es auch Tote gab. Foto: -/Magen David Adom/dpa

Ersthelfer versorgen in Meron Menschen nach einer Massenpanik, bei der es auch Tote gab. Foto: -/Magen David Adom/dpa

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 Bei einer Massenpanik auf einem jüdischen Fest im Norden Israels sind nach offiziellen Angaben mindestens 44 Menschen ums Leben gekommen. Rund 150 weitere wurden nach Angaben der Rettungskräfte in dem Wallfahrtsort Meron verletzt. Ein Sprecher des Rettungsdienstes Magen David Adom sprach am Freitagmorgen von einer «unfassbaren Katastrophe».Tausende - vor allem Strengreligiöse - hatten auf dem Meron-Berg den jüdischen Feiertag Lag Baomer begangen.

Die Behörden hatten die Teilnehmerzahl auf 10 000 begrenzt, nach Medienberichten waren aber bis zu zehnmal mehr Menschen angereist. In sozialen Netzwerken war vor dem Unglück in Videos zu sehen, wie die Menschen dicht gedrängt und ausgelassen sangen, tanzten und hüpften. Augenzeugen berichteten von gefährlichem Gedränge.

Die Polizei nahm am Freitag erste Ermittlungen zu den Ursachen des Unglücks auf. Nach ersten Erkenntnissen begann die Massenpanik, als Menschen auf einer abschüssigen Rampe mit Metallboden und Wellblech-Trennwänden auf beiden Seiten ins Rutschen kamen. Die dicht gedrängten Feiernden fielen dann übereinander.

In den Morgenstunden wurden erste Vorwürfe gegen die Polizei laut. Sie habe Leute in das abgesperrte Areal gelassen, obwohl es schon extrem voll gewesen sei. Nach Beginn der Panik habe die Polizei dann nicht schnell genug Ausgänge auf der anderen Seite geöffnet, so die Kritik. Insgesamt waren rund 5000 Sicherheitskräfte im Einsatz.Ein Sprecher des Rettungsdienstes Zaka sagte im Fernsehen, vor Ort herrsche Chaos, viele Kinder seien von ihren Eltern getrennt worden. Man bemühe sich, sie wieder zusammenzuführen. «Ich bin seit mehr als 20 Jahren beim Rettungsdienst, so etwas habe ich noch nie gesehen», sagte der Sprecher. «Das sind unfassbare Zahlen.» Auch ein Sanitäter berichtete, er habe Schreckliches mit ansehen müssen. Die Verletzten wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht, einige auch per Rettungshubschrauber. Die Polizei sperrte Zufahrtsstraßen und räumte das Gelände. Berichten zufolge weigerten sich jedoch Hunderte Gläubige zu gehen, weil sie beten wollten.

Es sei auch zu Konfrontationen gekommen. Selbst Soldaten waren im Einsatz, darunter eine Eliteeinheit der Armee. Der Polizei zufolge gab es Probleme mit dem Handyempfang, viele verzweifelte Menschen konnten Angehörige in Meron telefonisch nicht erreichen.Israels Präsident Reuven Rivlin schrieb bei Twitter, er verfolge die Berichte über die Tragödie und bete für die Genesung der Verletzten. Regierungschef Benjamin Netanjahu zeigte sich bestürzt über das «schwere Unglück» und sicherte den Rettungskräften Unterstützung zu. Gesundheitsminister Juli Edelstein sprach von einer schrecklichen Katastrophe. Auch er sprach den Hinterbliebenen sein Mitgefühl aus und dankte den Rettungskräften für ihre Arbeit.

Lag Baomer ist ein Fest, bei dem unter anderem an den jüdischen Aufstand gegen die römischen Besatzer unter Rebellenführer Bar Kochba erinnert wird. Er war im Jahre 132 ausgebrochen und rund drei Jahre später niedergeschlagen worden. Der Überlieferung nach endete an dem Tag von Lag Baomer eine Epidemie, an der damals zahlreiche jüdische Religionsschüler gestorben waren.Rabbi Schimon Bar Jochai, der auch an dem Aufstand gegen die Römer beteiligt war, liegt auf dem Meron-Berg begraben. Sein Grab ist ein Wallfahrtsort, den an dem Feiertag jedes Jahr Tausende besuchen. Traditionell werden dann auch Lagerfeuer angezündet. Im vergangenen Jahr waren die Feiern wegen der Corona-Pandemie stark eingeschränkt worden, doch inzwischen sind die Infektionszahlen deutlich gesunken und die Regeln wieder gelockert worden.

Massenpanik in Israel: „Mir fehlen die Worte, mir fehlen wirklich die Worte.“

Mitarbeiter von Rettungsdiensten sind normalerweise hartgesotten. Doch die dramatischen Ereignisse auf dem Meron-Berg im Norden Israels bringen selbst Profis an die Grenzen des Ertragbaren. „Wir haben es gerade mit einem der schlimmsten Unglücke Israels zu tun gehabt“, sagt Dov Meisel von der Organisation United Hatzalah am frühen Freitagmorgen in einem Interview. Die Helfer seien grauenhaften Anblicken ausgesetzt gewesen, die es seit den blutigsten Tagen der Terrorwellen zu Beginn der 2000er Jahre nicht mehr gegeben habe. „Mir fehlen die Worte, mir fehlen wirklich die Worte.“ Der Grund seines Entsetzens: Rund 40 Menschen sind bei einer Massenpanik während des jüdischen Festes Lag Baomer gestorben, Dutzende weitere haben - teils schwerste - Verletzungen erlitten.

Zehntausende sind am Donnerstag in den Norden des Landes gereist, um an dem Fest im Wallfahrtsort Meron teilzunehmen. Während sich diesmal sehr viele Ultraorthodoxe auf den Weg machen, war das im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie so nicht möglich. Doch inzwischen sind die Infektionszahlen drastisch gesunken. Umso ausgelassener ist nun die Stimmung. In sozialen Netzwerken finden sich zahlreiche Videos des Abends. Eine riesige Menschenmenge ist dort zu sehen, die ausgelassen feiert, tanzt und springt.

Doch tief in der Nacht bricht plötzlich Panik aus. Nach ersten Erkenntnissen sind auf einer abschüssigen Rampe mit Metallboden Menschen ins Rutschen gekommen. Die dicht gedrängten Feiernden fallen übereinander, die Situation gerät völlig außer Kontrolle. Hinzu kommt: Notfalltüren lassen sich offenbar nicht öffnen.

Ein Verletzter im Rambam-Krankenhaus in Haifa erzählt später, etwa 500 Menschen seien in einem Abschnitt eingepfercht gewesen, in dem normalerweise Platz für etwa 50 Menschen sei. „Unten in der ersten Reihe sind Menschen gefallen, und oben haben die Menschen dies nicht gesehen und sich weiter nach vorne gedrängt“, erzählt der bärtige Mann. „Eine Reihe fiel auf die andere.“

Der Rettungssanitäter Omri Hochman ist einer der ersten am Unglücksort. „Als wir ankamen, herrschte dort große Aufruhr, viele Menschen rannten in unsere Richtung“, schildert er im Fernsehen. „Der Anblick war sehr schlimm, Dutzende Verletzte lagen nahe der Tribüne und auf der Rampe.“ In sozialen Medien kursieren in der Nacht Bilder, auf denen Reihen von Leichensäcken zu sehen sind.

Ein Fernsehreporter zeigt später Aufnahmen vom Ort des Unglücks. Zahlreiche Schuhe, Hüte, verbogene Brillen und Wasserflaschen liegen dort auf dem Boden und zeugen von den schrecklichen Ereignissen. Ein Sicherheitsgeländer ist im Gedränge aus dem Boden gerissen worden. Der Reporter demonstriert, wie rutschig der Metallboden auf der Rampe ist.

Die Polizei bricht nach dem Unglück die Feiern ab, Zehntausende versuchen anschließend verzweifelt, den Ort zu verlassen. Kinder werden im Gewirr von ihren Eltern getrennt, besorgte Angehörige können ihre Liebsten nicht erreichen, weil das überlastete Handynetz zusammenbricht. Der Rettungseinsatz ist so schwierig, dass auch die Eliteeinheit 669 der israelischen Armee zu Hilfe gerufen wird.

(dpa)
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