Mechthild Großmann: Das Verwegene liegt ihr

Porträt: Mechthild Großmann, die Frau mit der markanten Stimme, überzeugt auf der Bühne und vor der Kamera, in Pina Bauschs Tanztheater ebenso wie im „Tatort“ aus Münster.

Düsseldorf. Mechthild Großmann hat ein Faible für das Geheimnisvolle, das Undurchsichtige. Zu unserem Gespräch hat sie im hintersten Winkel der Lounge eines Kölner Hotels Platz genommen, im Halbdunkel, aus dem sie den ganzen Raum überblicken kann.

Die Schauspielerin verzieht das Gesicht, als die Sprache auf ihre außergewöhnliche Stimme kommt. Dann gibt sie aber doch bereitwillig Auskunft über diesen "Fehler der Natur", von dem "das Gerücht" gehe, er habe mit Erotik zu tun. Als Kind und Jugendliche litt sie unter der tiefen Stimme, der Künstlerin wurde sie zum Markenzeichen.

Diseuse auf der Bühne wie im Leben, legt Mechthild Großmann einen mit Worten an die Leine. Eine faszinierende Erzählerin, die ihr Gegenüber fest in den smaragdgrünen Blick nimmt. In den Augen schimmert soviel Temperament wie Wärme.

"Bis ich 16 war, empfand ich die Stimme als Handicap", erinnert sie sich. "Säuferin" - so habe man schon das kleine Mädchen geärgert. Dabei sei sie ein niedliches Ding gewesen, mit Zöpfen, Faltenrock und Ballettunterricht. Die Mutter, eine Übersetzerin, legte Wert darauf.

In der siebten und achten Klasse sei das Kind, aufgewachsen mit drei älteren Brüdern, zwar ziemlich frech gewesen, aber nie anzüglich. Dennoch: "Ein selten dämlicher Deutschlehrer sagte einmal zu mir: ’Du landest in der Gosse’. Das hatte was mit meiner Stimme zu tun. Da war schon die Hure", ist sich Großmann sicher.

Was es mit dem ungewöhnlichen Bass auf sich hatte, sollte sie als Teenager erfahren. "Als mir ein Arzt nach einer starken Erkältung die Nebenhöhlen durchpusten wollte, kam heraus, dass ich fast keine Kiefern- und Stirnhöhle habe - alles zugeknorpelt", erzählt sie und verfällt in ein geradezu diabolisches Lachen, als hätte jemand einen schmutzigen Witz gemacht. Kein Raum für eine Kopfresonanz, daher also die ausgeprägten Brusttöne.

"Aber ich kann auch sowas", überrascht die Künstlerin ihr Gegenüber mit einer glockenhellen Stimme. "Kopftöne", brilliert sie, "habe ich auf der Schauspielschule gelernt. Reines Handwerk, ich muss es nur denken". Für einen Augenblick ist ihre Persönlichkeit eine andere.

Bei der klassischen Theaterkarriere hat der "Fehler der Natur" den Weg vorgezeichnet, indem er vieles ausschloss. Die Großmann war nie ein Gretchen, nie die junge Liebhaberin, wohl aber die junge Salondame und Charakterdarstellerin: "Ich habe alle Nutten rauf und runter gespielt." Nichts, was ihr leid täte: "Ich hatte nie das Bedürfnis nach den Lieben, Guten, ich wollte lieber ein bisschen Geheimnis, ein bisschen Verwegenes. Vielleicht auch, weil ich so gesehen wurde."

Die Regisseure, ob im Film oder auf der Bühne, vertrauen ihr die schwierigen, hintergründigen Rollen an, gerne mit Zigarette und Whiskyglas in der Hand.

Für Karin Neuhäuser gab sie 2001 in Münster eine vielschichtige "Medea", kürzlich wurde sie für ihre grandiose Martha in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" am Staatstheater Kassel (Regie: Thomas Bockelmann) mit dem Darstellerpreis der Hessischen Theatertage ausgezeichnet.

Im ARD-"Tatort" aus Münster, der Mechthild Großmann an der Seite von Axel Prahl und Jan Josef Liefers dem breiten Fernsehpublikum bekannt machte, gibt sie als Staatsanwältin vor allem die Nikotinsüchtige. "Ich habe versucht, daraus eine Rolle zu machen", betrachtet sie Wilhelmine Klemm etwas distanziert. "Ich sag’s mal etwas boshaft: Im Drehbuch steht ja nichts drin, außer, dass ich nicht rauchen will."

Die Figur falle auch deshalb auf, weil sie nachts um vier in Pumps geschminkt am Tatort erscheine. "Der reine Schwachsinn", brummt sie, "jede Frau käme da in Gummistiefeln, Jeans und ungekämmt." Fernsehrealität sei eben anders.

Als Pina Bausch sie 1976 für ihren Brecht-Weill-Abend "Die Sieben Todsünden/Fürchtet Euch nicht" entdeckte, ist es die Schauspielerin, die dem großen Tanzabend, mittlerweile ein Klassiker, im zweiten Teil den Whisky-Geruch gibt. Pina Bausch hat darin Songs u.a. aus der "Dreigroschenoper", "Happy End" und "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" zusammengestellt, die Großmann mit abgründigem Ernst interpretiert.

Zweifel, dass sie, nun bald 60-jährig, diese Rolle nicht mehr spielen kann, hat Pina Bausch ihr ausgeredet. "Pina sagte, die Frau, die am Boden liegt und vor Verzweiflung mit dem Ledergürtel schlägt, gibt es in jedem Alter."

Aus dem Wuppertaler Tanztheater, dem sie nun 32 Jahre lang verbunden ist, ist Großmanns herbe Weiblichkeit nicht mehr wegzudenken. Ob "Kontakthof" (1978), das Macbeth-Projekt "Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen" (1978), "1980" oder zuletzt "Ten Chi" (2004) - ihre Auftritte sind Höhepunkte. Sie ist Diva, Diseuse oder raunende Kassandra. Mal urkomisch in ihrem skurrilen Ernst, mal grotesk in ihrem kruden Realismus, mal bewegend in leiser Tragik.

Zumindest in den älteren Stücken gibt sie vordergründig das Kraftzentrum inmitten verletzter Frauenseelen. "Man sieht es nicht, aber ich bin oft das Opfer", sagt die Mimin leise. In "Die Keuschheitslegende" (1979) sei sie das verruchte Mädchen, das allen auf die Nerven gehe, das aber am Ende seine Stärke verlässt und auf einen halbnackten Mann wüst einschlägt. "Das ist es, was Pina an mir mag: Ich wirke nicht wie ein Opfer."

Das Image der Powerfrau setzt sich bis ins Privatleben fort. "Viele denken, ich bräuchte nie eine Schulter", sagt Mechthild Großmann, "aber das stimmt nicht". Im November zieht es die Künstlerin erneut ins Bergische. Das Wuppertaler Tanztheater nimmt "Die Sieben Todsünden" wieder auf. Für Großmann ist es, als käme sie nach Hause - schon weil sie zwanzig Jahre hier gelebt hat.

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