Landleben als Trend: Städter mit Mistgabel

Bremen (dpa) - Großstädter haben eine neue Leidenschaft: das Landleben. Allerdings bleibt es meistens bei einer Stippvisite am Wochenende. Denn wer umzieht, merkt schnell, dass es die dörfliche Idylle gar nicht gibt.

Es gab eine Zeit, da konnten sich hippe Großstädter ein Leben auf dem Land nicht vorstellen. Trends entstanden schließlich nur in den Straßenschluchten von New York, Paris oder Berlin. Doch dann entdeckten immer mehr Gestresste die dörfliche Beschaulichkeit. Ein Domizil in der Einöde - und sei es nur fürs Wochenende - ist schwer angesagt. Statt Laptop und Highheels tragen Avantgardisten jetzt Gummistiefel und Mistgabel.

Die Promis machen es längst vor. Michelle Obama baut Gemüse im Garten des Weißen Hauses an, Kate Moss lässt sich in ihrem Landhaus im britischen Cotswolds fotografieren und Liz Hurley betreibt sogar einen Bio-Bauernhof. Klar, dass sich auch bei uns schnell Nachahmer fanden. Etliche Autoren feiern inzwischen ihre Selbstversuche auf dem Land, Hochglanzmagazine verleihen der Gartenarbeit und dem Marmelade kochen einen Hauch von Glamour.

Doch jeder neue Trend ruft auch Skeptiker auf den Plan. Einer von ihnen heißt Axel Brüggemann, Journalist und seit einiger Zeit wie viele seiner Zunft Hausbesitzer auf dem Lande. Seit zwei Jahren lebt der Autor mit seiner Frau in Arbergen, einem Dorf am Rande Bremens, das mittlerweile eingemeindet ist. Als Kind verbrachte er dort viele schöne Stunden bei seinen Großeltern. Bei seiner Rückkehr als Erwachsener bekam er aber erstmal einen Schock: Nichts war mehr so wie früher.

„Gemüsegärten und Ställe gibt es in Arbergen überhaupt nicht mehr. Es ist ein klassisches Pendlerdorf geworden“, sagt Brüggemann. Tagsüber ist der kleine Ort wie ausgestorben. Nur die Rentner lugen noch neugierig über den Zaun. Der Tante-Emma-Laden hat längst dicht gemacht, das Zeitschriftengeschäft folgte kurz darauf. Zum Einkaufen fahren Brüggemann und seine Frau einmal die Woche rein nach Bremen, in ein anonymes Shopping-Center.

Also machte sich der Journalist auf die Suche nach der ländlichen Idylle und reiste quer durch die deutsche Provinz. „Landfrust“ hat Brüggemann sein am Freitag (11. März) erscheinendes Buch betitelt, das mit den Klischees vom glücklichen Bauern und der heilen Welt im Dorf aufräumt. Denn die Realität sieht düster aus, wie er feststellte: Landwirte geben auf, für junge Leute gibt es kaum Arbeit, Familien flüchten in die Stadt, Schulen und Geschäfte schließen, sogar die Kirche befindet sich auf dem Rückzug.

Soziale Strukturen zerbrechen, Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Alkoholismus, sexuelle Gewalt, Selbstmord und Amokläufe - alles Phänomene, die nach Angaben von Brüggemann gehäuft auf dem Land auftreten. Nicht die Großstädte seien die sozialen Krisenherde. „Es sind die alleingelassenen Dörfer“, meint der Experte.

Und doch ist es gerade die Landflucht, die die neue Lust am Landleben befeuert - so bizarr es auch klingen mag. „Je mehr Menschen in der Stadt leben, umso größer ist die Sehnsucht nach der Natur“, erläutert Andreas Steinle, Trendforscher beim Zukunftsinstitut im hessischen Kelkheim. Allerdings möchte kein Städter sein Leben auf dem Acker verbringen. Vielmehr bleibt es bei erholsamen Stippvisiten - wie bei der „Stern“-Autorin Irmgard Hochreither, die darüber in einem Blog und Buch berichtet.

Die Hamburger Journalistin verbringt jedes Wochenende mit Mann und Hund in einem winzigen Rundlingsdorf im niedersächsischen Wendland. „Es war für mich eine Neuentdeckung“, sagt Hochreither über das Landleben, das sie zuvor nur mit Gülle-Gestank und ekeligen Insekten in Verbindung gebracht hatte. „Es werden ganz andere Dinge wichtig.“ Zum Beispiel die Frage, wie man der saisonalen Schwemme von Obst und Gemüse Herr wird. „Es ist eine echte Herausforderung, Zucchini auf immer andere Weise zuzubereiten“, findet Hochreither.

Andere Städter holen sich das Land dagegen gleich vor die eigene Haustür. „Urban Gardening“ heißt der Trend, der die Menschen ins kleine Grüne auf dem Dach, im Hof oder in den Schrebergarten treibt. Der Berliner Autor Martin Reichert, dessen Mann ein schönes Häuschen im Brandenburgischen besitzt, weiß aus jahrelanger Erfahrung: Die Stadt beherbergt die wahre Natur. Eichelhäher und Fuchs seien längst dorthin ausgewandert. Und naturbelassene Lebensmittel finde man eher im Bio-Supermarkt im Stadtteil Prenzlauer Berg als auf dem Land.

Literatur:

Brüggemann, Axel: Landfrust. Ein Blick in die deutsche Provinz, Rowohlt Verlag, Hamburg, 224 Seiten, Euro 14,95, ISBN-13: 978-3-463-40592-6

Hochreither, Irmgard: Schöner Mist. Mein Leben als Landei, Ullstein Verlag, Berlin, 206 Seiten, Euro 8,95, ISBN-13: 978-3-548-37373-7

Reichert, Martin: Landlust. Ein Selbstversuch in der deutschen Provinz, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 221 Seiten, Euro 8,95, ISBN-13: 978-3-596-18831-4

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