Kulturschaffende bestürzt über Kürzungsforderung

Berlin (dpa) - Kaum ein anderes Buch sorgt derzeit für so viel Wirbel bei Kulturschaffenden wie „Der Kulturinfarkt“ eines Autorenquartetts. Ihre umstrittene These: Es gibt zu viele Kulturangebote.

Ihr Vorschlag: Die Hälfte aller Kultureinrichtungen sollte gestrichen werden. Museumsleiter, Theaterintendanten sowie Kulturpolitiker reagieren empört.

Der Großteil wirft den Autoren Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz und Dieter Haselbach Populismus und Werbung in eigener Sache vor, wie eine dpa-Umfrage ergab. Nur wenige sehen in den provokanten Thesen den Impuls, neu über das Subventionssystem nachzudenken.

MUSEEN:

Schon beim Gedanken an Einschnitte bangen viele Museumsleiter um die Existenz ihrer Häuser und ihren Bildungsauftrag für kommende Generationen. Radikale Subventionskürzungen würden „die totale Vernichtung dieser Kulturlandschaft zur Folge haben, die das Gedächtnis der Hansestadt bewahrt“, sagte Vorstand Helmut Sander von der Stiftung Historische Museen in Hamburg der dpa. Das sieht auch der Leiter der Museen der Stadt Nürnberg, Matthias Henkel, so: Eine Halbierung der Kultureinrichtungen würde zu einer „Erosion des kulturellen Gedächtnisses einer Nation“ führen. Der Direktor des Bochumer Kunstmuseums Günter Golinski meinte: „Das passt voll in die populistische Diskussion, in der ewig gestrige Argumente aufbereitet werden.“

THEATER:

Der Generalintendant des Theaters Krefeld-Mönchengladbach, Michael Grosse, lehnt den Vorschlag radikal ab: „Das ist völliger Schwachsinn.“ Die Autoren würden auf populistische Weise ein Marktdenken etablieren wollen - ohne den Bildungsaspekt der Kultur zu berücksichtigen.

Auch vom Konstanzer Theaterintendanten Christoph Nix hagelt es Kritik: „Die Autoren von "Kulturinfarkt" haben jahrelang wie die Maden im Speck als selbsternannte Kulturmanager von den Einrichtungen gelebt, die sie jetzt abschaffen wollen.“ Erfurts Theaterintendant Guy Montavon hält ebenfalls wenig von der Idee: „Solch eine Einspardebatte ist gefährlich und weckt Begehrlichkeiten beispielsweise bei den Kommunen.“ Den Autoren hält Weimars Kunstfest-Chefin Nike Wagner entgegen: „Kultur ist sinn- und identitätsstiftend; Kultur verbindet und lässt die Seele fliegen.“

Der designierte Intendant des Theaters Regensburg, Jens Neundorff von Enzberg, versteht die Thesen als gezielte Provokation, die zur Diskussion anregen soll: „Wenn dies gelingt und dadurch das Bewusstsein neu geschärft und regenerative Prozesse angeregt werden, hat das Buch seinen Zweck - hoffentlich auch so gewollt - erfüllt. Alles andere halte ich für fahrlässig und dumm.“

Auch der Intendant des Staatstheaters Cottbus, Operndirektor Martin Schüler, hält von den Forderungen der Buchautoren nicht viel: „Diese Theorien kann ich mir als Praktiker nicht zu eigen machen“, sagte er der dpa. Die Buchautoren seien Kulturbürokraten, die sich vom Schreibtisch aus äußern.

„Man sollte annehmen, dass diese vier Autoren es eigentlich nicht nötig haben, mit provozierenden populistischen Thesen ihr Einkommen aufzubessern“, sagte der Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, Jack Kurfess und rät dazu, das Ganze zu ignorieren. Es müsse sich zwar etwas ändern, gab der Lübecker Theaterdirektor Christian Schwandt zu bedenken, aber der Vorschlag sei einfach populistisch. Erfurts Theaterintendantin Katja Ott sieht in den Ideen eine „geistige Schlichtheit, dass es einem die Sprache verschlägt“.

KULTURPOLITIKER:

Würzburgs Kulturreferent Muchtar Al Ghusain wertet die Thesen mehr als Impuls, man müsse sich schließlich vor „Verkrustungen“ schützen. Schleswig-Holsteins Kulturminister Ekkehard Klug (FDP) findet auch, es sei nie falsch, über neue Strukturen nachzudenken. Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) wirft den Autoren ein „beängstigend bürokratisches Verständnis von Kulturpolitik“ vor. Wenig Verständnis gab es auch beim Münchner Kulturreferenten Hans-Georg Küppers: „Wir subventionieren die Kultur nicht, sondern wir investieren in die geistige Kraft einer Stadt.“

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