Kommentar: Ein bedenklicher Internet-Pranger

Schüler dürfen ihre Lehrer weiterhin öffentlich berwerten.

Düsseldorf. Wo es um die Meinungsfreiheit geht, da marschieren wir Medienmenschen schon aus eigenem Interesse voran. Darum werden Sie an dieser Stelle einen Kommentar erwarten, der das Kölner Gerichtsurteil und das grüne Licht für die Bewertung von Lehrern durch Schüler im Internet uneingeschränkt gutheißt. Doch diesen Kommentar bekommen Sie nicht. Weil nämlich der Richterspruch höchst bedenklich ist. Im Hauptsacheverfahren dürfte sich der Streit noch bis in die höchsten Instanzen hinziehen, und die werden bei der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht hoffentlich zu einem anderen Ergebnis kommen. Wer jetzt im noch nicht verklungenen Groll auf seine eigene Schulzeit applaudiert, weil endlich auch mal die Lehrer benotet werden, möge sich klar machen, dass er selbst schon bald am Internet-Pranger stehen könnte: der Kfz-Mechaniker X, der angeblich die Bremsen nicht richtig einstellt, der Zahnarzt Y "mit den zitternden Händen" oder auch die von der Nachbarin im Internet angeschwärzte Frau Z., die Haushalt und Kinder vernachlässigt. Dass ein Richter, ein Politiker oder ein Journalist, der sich aktiv in die öffentliche Diskussion einbringt, mit ebenso öffentlichen Beurteilungen leben muss, ist klar. Aber doch nicht Herr und Frau Jedermann, die einfach nur ihren Job machen - ohne sich im Meinungsbildungsprozess zu produzieren. Nur auf den ersten Blick sieht es demokratisch aus, wenn Schüler unter Berufung auf die Meinungsfreiheit ihre Lehrer in die Pfanne hauen. Doch wie soll sich ein Lehrer gegen vielleicht völlig ungerechtfertigte, zumal anonyme Vorwürfe zur Wehr setzen? Lehrer sind doch ohnehin schon die Zielscheibe öffentlicher Kritik. Glaubt denn irgendjemand, dass durch anonyme Schülerbewertungen die gewiss nicht kritikfreien Zustände an den Schulen besser werden? Die Lernatmosphäre jedenfalls wird durch das neue Phänomen nicht verbessert. Das meiste, was schlecht ist, hat auch eine gute Seite: Vielleicht bringt der (leider noch zulässige) Internet-Pranger ja den einen oder anderen Lehrer auf die Idee, selbst seine Leistungen jenseits der Öffentlichkeit von seinen Schülern bewerten zu lassen - um mit den so gewonnenen Erkenntnissen konstruktiv an sich zu arbeiten. E-Mail: [email protected]

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