Köln steht unter Schock

Erst rund ein Jahr nach dem Einsturz des Stadtarchivs fällt ein großangelegter Baupfusch auf. Die Bürger sind fassungslos.

Köln. Zehntausende Jecken tanzen und feiern an Weiberfastnacht in der Kölner Altstadt - ohne zu ahnen, was sich nur wenige Meter weiter in einer unterirdischen Baustelle abspielt. Während Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) am vergangenen Donnerstag mit einem Zylinder auf dem Kopf von einer Karnevalsparty zur anderen zieht, weiß er, dass zeitgleich ein Krisenteam tagt.

Experten prüfen die Wände in der U-Bahn-Baugrube am Heumarkt, messen und rechnen. Das erschreckende Ergebnis: Es fehlen mehr als 80 Prozent der vorgeschriebenen Eisenbügel, die zur Stabilisierung der Grube notwendig sind. Rund ein Jahr nach dem dramatischen Einsturz des Kölner Stadtarchivs mit zwei Toten herrscht erneut Fassungslosigkeit in der Domstadt.

Denn auch wenn die genaue Ursache des Unglücks noch immer nicht feststeht: Als sicher gilt, dass die Baustelle für die neue Nord-Süd-Bahn, die direkt am Stadtarchiv entlangführt, mit dem Einsturz zu tun hatte. Die schrecklichen Bilder vom Archiveinsturz am 3. März 2009 sind in den Köpfen der Menschen noch allgegenwärtig.

Nach dem Unglück gingen viele Kölner davon aus, dass der komplette Streckenverlauf der geplanten U-Bahn nun umso genauer überprüft würde. Doch erst in dieser Woche fielen die fehlenden Eisenteile auf. Warum nicht vorher? Darauf gibt es bisher keine zufriedenstellende Antwort.

Zunächst kommt - wohl durch das Geständnis eines Bauarbeiters - heraus: Arbeiter sollen Eisenbügel gestohlen haben, die für die U-Bahn-Baustelle am Einsturzort bestimmt waren und zur Stabilisierung erforderlich sind. Das Metall sollen sie bei einem Schrotthändler zu Geld gemacht haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind die fehlenden Teile jedoch nicht die Ursache für das Archiv-Unglück gewesen.

Daraufhin überprüfen Fachleute auch die Baustelle am Heumarkt - und stellen fest, dass dort zum Teil nur 17 Prozent der vorgesehenen Eisenbügel eingesetzt wurden. Vorsorglich wird ein Plan zur Evakuierung des Viertels gemacht. Erst am späten Donnerstagabend gibt die Stadt Entwarnung. Auch die Karnevalszüge könnten wie geplant starten.

Doch wie kann es sein, dass das Fehlen der Eisenstangen so lange unbemerkt blieb? Der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, Heinrich Bökamp, sagt, die Kölner Verkehrsbetriebe KVB hätten es wohl versäumt, wie vorgeschrieben einen Prüfingenieur mit der Überwachung zu beauftragen. Stattdessen hätten sie das offenbar irgendwie selbst leisten wollen: "Aber wenn 80 Prozent geklaut wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass da eine Kontrolle installiert war."

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