Jeremies Flucht wirft Fragen auf

Elfjähriger reißt aus Wanderzirkus aus. Jugendamt unter Druck.

Hamburg. Wo steckt Jeremie? Der Elfjährige ist seit Dienstag verschwunden. Mit dem Kleintransporter der Zirkusfamilie, bei der ihn das Jugendamt unterbracht hatte, soll er gut 100 Kilometer von Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern nach Hamburg gefahren sein. Inzwischen vermutet das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte, dass das Kind Hilfe von einem Erwachsenen bekam.

Der Junge wuchs in Hamburg auf, die Eltern waren nach Angaben der Behörde drogenabhängig, bei den Großeltern soll er geschlagen worden sein. „Das Familiengericht hat entschieden, das Sorgerecht zu entziehen“, erklärt eine Sprecherin. Das Kind sei wiederholt aggressiv gegen sich und andere geworden. Vor knapp zwei Jahren kam Jeremie zu der Zirkusfamilie, die bereits sieben eigene Kinder hat.

Dass Jeremie ausgerechnet bei dem Wanderzirkus einquartiert wurde, hängt mit seiner Herkunft aus einer Roma-Familie zusammen, wie die Sprecherin sagt. Schließlich müsse sowohl bei der Herkunftsfamilie als auch bei dem Kind schauen: „Was findet Akzeptanz?“ Zudem sei es nicht gelungen, eine andere Unterbringung zu finden.

Jeremies Mutter und Großeltern erheben nun schwere Vorwürfe gegen das Jugendamt und die Zirkusfamilie. „Er hat immer wieder weinend angerufen, ist geschlagen und ausgenutzt worden“, zitiert das „Hamburger Abendblatt“ seine Mutter. Er sei gezwungen worden, Diesel zu stehlen und morgens um sechs Uhr die Ställe auszumisten. Schlafen müsse er in einem unbeheizten Bauwagen.

Nach dem Methadon-Tod von Chantal steht das Jugendamt Hamburg-Mitte wieder im Zentrum der Kritik. Das elfjährige Mädchen, das in der Obhut drogensüchtiger Pflegeeltern war, starb im Januar an einer Überdosis der Heroin-Ersatzdroge. Jetzt hagelt es erneut Kritik von Grünen und CDU. „Dieser Fall wird immer dubioser, und wieder ist das Jugendamt Mitte betroffen“, so die Grünen-Bürgerschaftsfraktion.

Die Unterbringung koste die Stadt mehrere tausend Euro pro Monat — dafür müsse man eine intensive Betreuung des Kindes erwarten. „Eine pädagogische Ausbildung hatten die Betreuer der sogenannten Fachpflegestelle im Zirkus nicht.“ Auch die rechtliche Grundlage der Unterbringung sei fragwürdig.

Die CDU-Fraktion fordert, es müssten viele offene Fragen rund um das Jugendamt Hamburg-Mitte geklärt werden. „Man muss sich ernsthaft sorgen, ob der Schutz der Kinder, die von diesem Jugendamt betreut werden, gewährleistet ist“, teilt die Fraktion mit. „Die Vielzahl negativer Schlagzeilen in kurzer Zeit sprechen nicht für die Qualität des Jugendamtes.“

Bisher gibt es nur ein Lebenszeichen von Jeremie: Am Mittwoch soll er seine Großeltern angerufen haben. Der Transporter der Zirkusfamilie war am gleichen Tag vor einem Hamburger Friedhof entdeckt worden.

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