Japaner kommt nach mehr als 40 Jahren in Todeszelle frei

Tokio (dpa) - Es ist einer der erschütterndsten Fälle in der japanischen Justizgeschichte. Jahrzehntelang sitzt ein Japaner wegen Mordes an einer Familie in der Todeszelle. Es war wohl ein Fehlurteil.

Japaner kommt nach mehr als 40 Jahren in Todeszelle frei
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Der 78-Jährige ist plötzlich frei.

Mehr als 47 Jahre lang saß Iwao Hakamada in Haft, fast die ganze Zeit in der Todeszelle - jetzt lässt ein Gericht seinen Fall neu aufrollen. Der inzwischen 78 Jahre alte Ex-Berufsboxer war 1968 wegen der Ermordung einer vierköpfigen Familie zum Tode am Galgen verurteilt worden. Der Fall ging durch alle Instanzen.

Letztlich saß er so lange in der Todeszelle wie weltweit wohl kein anderer Häftling. Doch am Donnerstag gab ein Gericht im zentraljapanischen Shizuoka Hakamadas erneutes Gesuch um Wiederaufnahme seines Verfahrens statt. Er kam sofort frei. „Ich bin wahrlich dankbar“, sagte seine Schwester, bevor sie zum Gefängnis fuhr und ihren Bruder abholte.

Anlass der Freilassung sind DNA-Tests, die die Unschuld von Hakamada vermuten lassen. Der Vorsitzende Richter setzte die Todesstrafe für Hakamada aus. Die Staatsanwaltschaft legte Einspruch ein. Dennoch durfte der gebeugte alte Mann das Gefängnis noch am selben Tag verlassen - in Begleitung seiner 81-jährigen Schwester, die für ihn gekämpft hatte.

Japan ist eines der wenigen Industrieländer, in denen die Todesstrafe noch vollstreckt wird. Menschenrechtsorganisationen und auch die EU fordern Tokio immer wieder auf, die Exekutionen zu beenden. Japans Regierungen berufen sich seit langem auf Umfragen, wonach sich ein Großteil der Bevölkerung angeblich für Todesstrafen bei besonders brutalen Mordfällen ausspricht.

„Die japanischen Behörden sollten sich für die barbarische Behandlung, die Hakamada erhielt, schämen“, sagte Roseann Rife von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Hakamada war 1966 verhaftet worden. Dem damaligen Mitarbeiter einer Sojafabrik wurden Mord, Raub und Brandstiftung vorgeworfen, nachdem im abgebrannten Haus seines Chefs vier Leichen - die des Chefs, seiner Frau und zweier Kinder - mit Stichwunden gefunden worden waren.

Nach einem 20 Tage langen Polizeiverhör legte Hakamada ein vermeintliches Geständnis ab, das er zum Auftakt seines Prozess jedoch widerrief. Die Beamten hätten ihn geschlagen und ihm gedroht. Nach Angaben seiner Verteidiger stimmten zudem DNA-Analysen bei späteren forensischen Untersuchungen nicht mit Proben auf Kleidungsstücken überein, die Hakamada getragen haben soll.

Diese DNA-Ergebnisse erkannte das Gericht nun an. Zugleich deutete der Vorsitzende Richter laut Medienberichten an, dass die Ermittler die vermeintlichen Beweise gefälscht haben könnten. Es ist erst das sechste Mal in der Nachkriegsgeschichte Japans, dass ein Gericht der Wiederaufnahme des Falls eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe bereits rechtskräftig verhängt wurde. In vier der fünf vorherigen Fälle waren die Verurteilten freigesprochen worden.

Wie die meisten zum Tode Verurteilte lebte Hakamada die meiste Zeit in Einzelhaft und in permanenter Angst, dass es jeden Tag soweit sein könnte. Denn der Zeitpunkt der Hinrichtung wird den Todeskandidaten in Japan nicht mitgeteilt. Erst wenige Minuten vor ihrer Hinrichtung wird den Gefangenen gesagt, dass sie sterben werden. Die Angehörigen erfahren von den Hinrichtungen erst im Nachhinein.

Viele Todeskandidaten treibt die ständige Angst in den Wahnsinn. Auch der mentale Zustand des inzwischen 78-jährigen Hakamada soll sich als Folge der jahrzehntelangen Isolationshaft verschlechtert haben. Sein Sohn wurde nach japanischen Fernsehberichten von Freunden aufgezogen.

Hakamada und seine Verteidiger hatten 1981 erstmals ein Neuverfahren gegen die ein Jahr zuvor vom Obersten Gerichtshof abschließend bestätigte Todesstrafe beantragt. 2008 wurde dies vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Daraufhin stellte Hakamadas 81 Jahre alte Schwester Hideko einen erneuten Antrag - letztlich erfolgreich.

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