Interview: „Dem Vatikan geht es nicht um die Opfer“

Für den Theologen Prof. Hermann Häring fördert der Zölibat den Missbrauch.

Herr Professor Häring, wie bewerten Sie das Verhalten der Kirche angesichts der Missbrauchsfälle?

Hermann Häring: Das ist für mich - neben den schrecklichen Vergehen - der eigentliche Skandal. Da gibt es eine Mentalität, nur die Institution Kirche zu schützen. Um die Opfer geht es nicht. Der Vatikan spricht sogar vom "Schutz der Heiligkeit der Sakramente". Es geht also nicht darum, dass ein Kind durch eine Handlung körperlich und seelisch verletzt wird, sondern darum, dass der Priester mit seinen sexuellen Handlungen nicht beschmutzen soll.

Häring: Ja, davon muss man ausgehen. Was wir gerade erleben, ist die Spitze des Eisbergs. Daher fordere ich Papst Benedikt auf, alle Fälle aus den geheimen Archiven des Vatikans zu prüfen und die Opfer anzuschreiben. In Absprache mit ihnen müssen die Fälle offengelegt werden.

Häring: Das ist meine feste Überzeugung. Daher fordere ich, dass der Zölibat vorläufig höchstens für Bischöfe gilt. Der Zwangszölibat ist wie ein Dampfkessel. Sexualität und der Wunsch danach werden verdrängt. Am Schluss der Ersatzhandlung standen die Kinder als die schwächsten Glieder in der Kette. Ich finde es erschreckend, dass Papst Benedikt noch in Köln Priesteramtsanwärter nur beschworen hat, fester zu glauben und mehr zu beten. Ich erkenne sein neues Bemühen um Offenlegung an, doch sein Wirken erscheint mir hilflos.

Häring: Jedes Bistum müsste einen unabhängigen Ombudsmann einsetzen. Eine Person, an die sich Opfer, insbesondere Jugendliche wenden können, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Ich denke hier an Messdiener, Pfadfinder, Teilnehmer von Jugendfreizeiten. Denn die Übergriffe passieren ja nicht aus dem Hinterhalt heraus. Sie entwickeln sich aus einem Vertrauensverhältnis. Auf jeder Homepage, unter jedem Schreiben des Bistums muss die Adresse des Ombudsmannes stehen.

Häring: Als ehemaliger Jesuit kenne ich die sehr strenge und rationale Ausbildung. Wie in jedem anderen Orden wurden auch hier Fehler gemacht. So war Sexualität in der Ausbildung nie ein Thema. Zudem hatten Priesteranwärter niemanden, dem sie ihre Probleme anvertrauen können. Es gab auch keine pädagogische Ausbildung, keine Beratung - nur die Theologie und den Aufruf zur frommen Disziplin. Dass diese Fälle bekannt werden, ist dem Berliner Jesuiten und Schulleiter Klaus Mertes zu verdanken. Es braucht mehr Mutige wie ihn.

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