„Ich hatte Schuldgefühle, weil ich überlebt habe“

Vor Boris Schmuda sprengte sich ein Attentäter in die Luft. Zwei Jahre lang brauchte er Hilfe.

Kundus/Hannover. Boris Schmuda sieht den Selbstmordattentäter nicht kommen. Es ist der 19. Mai 2007. Der heute 34-Jährige ist mit einem Erkundungstrupp der Bundeswehr auf einem belebten Marktplatz im nordafghanischen Kundus unterwegs. Als die deutschen Soldaten aus ihren gepanzerten Dingo-Fahrzeugen steigen, werden sie wie so oft von Einheimischen umringt.

"Plötzlich hörte ich einen unglaublichen Knall und wurde von einer starken Druckwelle vier, fünf Meter weit weggeschleudert", erinnert sich der Berufssoldat im Gespräch mit unserer Zeitung. Fünf Meter von dem Hauptfeldwebel entfernt hat sich ein Mann in die Luft gesprengt.

Drei Kameraden und fünf Afghanen sind sofort tot, Schmuda liegt schwer verletzt am Boden. Nägel, Schrauben und Bombensplitter haben sich in seinen Körper gebohrt, der Feuerball hat Teile seiner Haut verbrannt. "Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was passiert war."

Schmuda wird umringt von afghanischen Fotografen, die aus dem Nichts aufzutauchen scheinen. "Ich konnte mich nicht mehr bewegen und fühlte mich hilflos", erzählt der Soldat. Im ersten Schock empfindet er anfangs keine Schmerzen. Weil die Lunge verletzt ist, bekommt er kaum noch Luft. "Das war ein schlimmes Gefühl. Da spürte ich, wie ernst die Lage ist." Panik steigt in ihm hoch - und Angst. "Nicht vor dem Tod an sich, sondern davor, an diesem Ort zu sterben." Seine letzten Gedanken gelten seiner Frau, dann verliert er das Bewusstsein.

Mehrere Operationen später erwacht Schmuda im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz aus dem Koma. "Ich spürte sofort, dass ich mit dem Erlebten nicht fertig werde und Hilfe benötige." Eine Erkenntnis, die bei vielen Soldaten mit einer ähnlichen Erfahrung erst nach Monaten psychischer Qualen reift.

Auch Schmuda hat Probleme, die schreckliche Tat richtig einzuordnen. "Da waren die Schuldgefühle, weil ich überlebt hatte und meine Kameraden nicht." Angstattacken, Schlafstörungen und die Furcht vor Menschenmengen kommen hinzu. Ärzte sprechen bei solchen Symptomen von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Die körperlichen Wunden des Anschlags verheilen, die seelischen nicht. Zwei Jahre macht Schmuda eine intensive Gesprächstherapie, lernt sogar, sich die Bilder von damals anzusehen. Auch seine Frau geht in Therapie. "Bei ihr sind die Probleme zeitversetzt aufgetreten", erzählt er.

Angst, nach diesem Erlebnis einen Karriereknick zu erleiden, hat Schmuda nicht. Ganz offen geht er mit der Diagnose um, ganz bewusst kehrt er frühzeitig in seinen Job als Rechnungsführer (Zahlmeister) bei der Bundeswehr zurück. "Ich wollte sehen, ob ich es schaffe." Seit August arbeitet er an der Schule für Feldjäger und Stabsdienst in Hannover.

Schmuda will nicht, dass PTBS tabuisiert wird. "Seelische Probleme müssen in unserer Gesellschaft gleichgestellt werden mit körperlichen Verletzungen." Dann öffnen sich auch die Menschen, die an PTBS leiden, sagt er und fügt hinzu: "Es ist auch kein Problem nur der Bundeswehr."

Ob der Hauptfeldwebel noch einmal an den Hindukusch zurückkehrt? "Ich würde jederzeit wieder ins Ausland gehen und speziell nach Afghanistan, denn ich habe dort einen sehr sinnvollen und wichtigen Einsatz erlebt", gibt sich Schmuda überzeugt. "Man darf die Menschen dort nicht allein lassen."

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