Guerilla-Gärtner: Krieger mit der Gießkanne

Sein Verbrechen ist das Gärtnern: Richard Reynolds bepflanzt Londons Ödland.

London. Ihr Angriff erfolgt meist vor Sonnenaufgang. Mit spitzen Geräten im Schlepptau schaffen sie ihre Massenverschönerungswaffen zum Tatort. Sie sind schnell und lautlos, und die Pendler, die sich am nächsten Morgen durch den Stau quälen, dürfen sich wundern: Wo kommen die Alpenveilchen am Beton her, die Narzissen auf der Verkehrsinsel? Doch die Guerilla-Gärtner haben sich da längst aus dem Staub gemacht.

Die Frontlinie dieses Kampfes verläuft bei Elephant & Castle, einer hässlichen Mega-Kreuzung im Süden der Hauptstadt. Fußgängertunnel, Bundesstraßen, U-Bahn-Station und die Türme des sozialen Wohnungsbaus verdichten sich hier zu einer Gegend, die normalerweise Depressionen und Kriminalität brütet. Richard Reynolds wohnt hier - und sein Verbrechen ist das Gärtnern.

"Als ich hier eingezogen bin, ist mir diese Kaskade an Terrassen direkt neben dem Hochhaus-Eingang aufgefallen", erinnert sich Londons erster Guerilla-Gärtner. "Offensichtlich hatte der Architekt hier mal Grün und Blumen vorgesehen." Er zögerte, dann aber schlug er eines Nachts zu: Den Körper aufgepumpt mit Tee und Adrenalin räumte Reynolds die verdörrten Bodendecker weg. Er harkte im Laternen-Dämmerlicht die Erde in den Stein-Rondellen und pflanzte Lavendel, Alpenveilchen und zwei Palmen.

"Ich wollte einfach keinen Ärger mit den Nachbarn", sagt Reynolds heute zu der Solo-Aktion. Eine spektakuläre Kampagne, wie es das Guerilla-Gärtnern mittlerweile in London und anderen Metropolen geworden ist, hatte der 31-Jährige nicht im Sinn.

Seine Nachbarn jedenfalls waren begeistert: Endlich habe sich das Grünflächenamt erbarmt und den Vorgarten bepflanzt, sagten sie zu Reynolds. Der lächelte diskret und weil es so ein großer Spaß war, machte er sich mit Freunden an die nächste Verkehrsinsel. In einer Nacht- und Nebelaktion säten sie dort ein Lavendel-Meer. Die Idee sprach sich herum - andere Guerilla-Zellen attackierten ebenfalls plötzlich Brachflächen. Täglich verwandelt sich in der Stadt nun vernachlässigtes Ödland wie von Geisterhand in urbane Oasen.

Irgendwann kommt allerdings für all die mutigen Guerillas der Moment der Enttarnung. "Meine erste Auseinandersetzung war mit einem Straßenkehrer, der mich erwischte und sich beschwerte, dass ich ,meinen’ Müll in ,seine’ Tonne warf", erzählt Reynolds. Bitterernst nimmt auch die Polizei das Katz-und-Maus-Spiel: Sie lauert Reynolds gern beim nächtlichen Gießen auf. "Die Beamten drohen mir mit Verhaftung wegen Sachbeschädigung", sagt er lachend.

Dass auch mal Leute an den Beeten anhalten und mit ihm sprechen wollen, bereitet ihm das größte Vergnügen. "Darum geht es uns schließlich", fasst Reynolds die politische Botschaft der Wildgärtner zusammen, "wir sollten alle Verantwortung für den öffentlichen Raum übernehmen und ihn schöner gestalten."

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