Glosse Kurz, kürzer, Kemmerich - über das Durchziehen und Hinschmeißen

Hinschmeißen ist das neue Durchziehen. Und zwar Durchziehen der eigenen Wünsche. Ganz nach der Marie-Kondo-Aufräum-Methode: Does it spark joy? Macht es dich glücklich? Eine Glosse.

 Thomas Kemmerich (FDP) hatte nach 24 Stunden genug vom Job des Ministerpräsidenten. 

Thomas Kemmerich (FDP) hatte nach 24 Stunden genug vom Job des Ministerpräsidenten. 

Foto: dpa/Martin Schutt

Ein kurzer Prozess ist besser als ein lang gezogenes Elend. Jürgen Klinsmann schmiss seinen Job nach 76 Tagen hin. Nun ist rege Fluktuation im Fußballbetrieb nichts Neues. In der Politik schon eher. Immerhin hielt Klinsmann 75 Tage länger durch als der Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich.

Im Politikbetrieb gibt es die einen, die sich jahrzehntelang mit aller Macht an ihren längst durchgesessenen Stuhl krallen und die anderen, die nur mal reinschauen, um dann Au Revoir zu sagen. Manche auch nicht ganz freiwillig. Der neunte US-Präsident starb nur vier Wochen nach Amtsantritt, der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz fiel nach nicht mal 340 Tagen in Ungnade. Nichtsdestotrotz: Hinschmeißen ist das neue Durchziehen. Und zwar Durchziehen der eigenen Wünsche. Ohne Rücksicht auf Verluste. Früher wurden Durchhalten und -beißen noch als Tugend wertgeschätzt. Nicht alles von früher ist heute schlecht.

Also woran liegt es, dass Leute heute den Ausstand nach dem kaum verdauten Einstand geben? Sie sind Herr ihrer eigenen Lage. Sie wollen den Zeitpunkt selbst bestimmen, statt bestimmt zu werden. Lieber selbst von Bord springen als langsam ersaufen. Der Frustpegel steigt sowieso. Früher oder später steht dem einen das Wasser, dem anderen die Langeweile bis zum Hals.

„Jeder Wunsch hat mich stets mehr bereichert als der immer nur trügerische Besitz des Ersehnten“, heißt es in André Gides „Die Früchte der Erde“. Was hat sie doch geträumt. Die junge Meghan Markle. Eines Tages Prinzessin sein, darüber schrieb sie auf ihrem Blog. 2018 lebte sie den Hochzeitstraum unzähliger Mädchen. Keine zwei Jahre lebte sie im goldenen Käfig, da sagte sie: Goodbye Großbritannien. Hello again Kanada. „Ihre königliche Hoheit“ war einmal. Nicht einmal auf den britischen Pass wollte sie warten. Auf den Abbruch folgt der neue Aufbruch. Ganz nach der Marie-Kondo-Aufräum-Methode: Does it spark joy? Macht es dich glücklich? Nein? Dann weg damit, und zwar hurtig. Früher ritten Menschen tote Gäule, heute springen sie vom galoppierenden Pferd. Auf ins nächste Abenteuer.

 Fatima Krumm.

Fatima Krumm.

Foto: FK

Man könnte meinen, die Generation Beziehungsunfähig greift auf die Generation Jobunfähig über. Nein, hier greift bindungsunwillig auf Jobunlust über. Es ist die neue Lust am bleibenden Statement. Durch den Paukenschlag, den großen Knall, die Überraschung. Immerhin können die davon Betroffenen dankbar sein, bleibt ihnen doch ein zersetzender, unnötig in die Länge gezogener Erosionsprozess erspart. „Augen zu und durch, Schluss, aus und vorbei“, das sang Wolfgang Petry schon 1996, ein Avantgardist des heutigen Zeitgeists.

Kürzlich machte Pamela Anderson mit ihrer Eheschließung Schlagzeilen. Ihr fünftes „Für immer“ hielt zwölf Tage, 288 Stunden. Flexibilität ist eben keine Frage des Alters. Nicht einmal die höchsten Weihen können der Sehnsucht nach Neuem Einhalt gebieten. Vor ziemlich genau neun Jahren gab Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt bekannt. Von einem Amt, das keinen Rücktritt vorsieht. Unbefristet ist heutzutage kein Geschenk mehr, sondern eine Last.

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