Gewalttäter: Böse oder krank?

Hirnforschung: Die Uni-Klinik Rostock entfacht durch eine Studie die Frage neu: Ticken Mörder und Vergewaltiger grundsätzlich anders?

Rostock. Die Frage schwebt schon so lange im wissenschaftlichen Raum, wie es die moderne Hirnforschung gibt: Sind Gewaltverbrecher und Sexualstraftäter zu hundert Prozent verantwortlich für ihre Untaten, oder leiden sie unter Hirnschäden, die ihnen jedwede Schuldfähigkeit nimmt?

Böse oder krank: Forscher an der psychiatrischen Uni-Klinik Rostock haben diesen Test mit Strafgefangenen gemacht. 28 Männer, vom verurteilten Serienmörder bis zum Patienten einer forensischen Klinik, mit einer Gemeinsamkeit, so Klinikchefin Sabine Herpertz: Alle sind "krankhaft angstfrei". Freiwillig, so wird betont, unterzogen sich die Probanden mehreren Untersuchungen, bei denen ihre Hirnaktivitäten gemessen wurden.

Einmal wurden ihnen Bilder von weinenden Kindern und geschlagenen Frauen gezeigt. Normalerweise zeigt das Hirn darauf eine Reaktion, indem es ein Gefühl wie Mitleid oder Trauer erzeugt. Die Verbrecherhirne reagierten unter dem Kernspintomographen dagegen weitgehend ungerührt. Bestimmte Hirnareale waren ungewöhnlich gering durchblutet. In einem Börsenspiel wurde darüber hinaus Risikobereitschaft überprüft: Die Probanden bewiesen wenig Gespür dafür, dass falsche Entscheidungen Strafen nach sich zogen.

Für manch einen Neurowissenschaftler ist die Rostocker Studie Wasser auf die Mühlen. Der Marburger Verhaltenspsychologe Gerhard Roth gehört zu diesen Vertretern. Psychopathen sowie impulsive Straftäter handelten nicht nach ihrem freien Willen, argumentiert er, sondern gemäß einer neurologisch bedingten Vorbestimmung. Darum könne auch kein Täter mit einem "defekten Hirn" von der Justiz für schuldig befunden werden.

Professor Karl Zilles, Hirnforscher am Forschungszentrum Jülich, kritisiert die Logik des Kollegen als "Unsinn". Über die aktuelle Studie wolle er zwar "nicht urteilen, ehe sie nicht veröffentlicht ist". Für die Rechtssprechung seien solche bildgebenden Verfahren aber "völlig irrelevant", weil sie nicht die komplexe Strategie eines Täters begreifen. Dem schließt sich auch Sabine Herpertz an. "Unser Ziel ist es zu erkunden, welche Hirnstrukturen verantwortlich für Taten und welche Therapien für welchen Täterkreis sinnvoll sind."

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