Analyse Von der Versuchung, das Vaterunser zu ändern

Der Papst hat eine Debatte über die deutsche Übersetzung angestoßen. Sie zeigt: Der Wortlaut bedarf immer der Auslegung.

An einer Passage im Vaterunser stört sich der Papst.

An einer Passage im Vaterunser stört sich der Papst.

Foto: Philip Schwarz

Düsseldorf. Dafür muss man schon Papst sein, um mit einer kleinen Bemerkung eine alte Debatte so neu zu befeuern, als wäre sie gerade erst vom Himmel gefallen. Die deutsche Übersetzung der Vaterunser-Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ sei nicht gut, befand Franziskus in einem Fernseh-Interview vor gut zwei Wochen. Nicht Gott, sondern der Satan führe in die Versuchung. „Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen.“

Nun ist der Papst nicht der Erste, der sich an der Passage reibt. Da gab es durch die Jahrhunderte schon einige Hunderttausend Menschen und zahllose theologische Artikel vor ihm. Denn wenn die Passage so verstanden wird, als müsste man Gott darum bitten, den Menschen keine Versagensfalle zu stellen, deckt sie sich schlicht nicht mit dem Bild eines liebenden und verzeihenden Gottes. Dabei ist das berühmteste Gebet der Christenheit doch in Jesu Bergpredigt eingebettet.

Allerdings entscheidet sich die Frage einer guten oder schlechten Übersetzung nicht an einem seelsorgerisch gewünschten Inhalt. Und philologisch lässt sich an der aus dem Griechischen übersetzten deutschen Fassung nicht rütteln. Das Problem: Jesu Muttersprache war das Aramäische, doch eine solche Originalfassung des im Matthäusevangelium überlieferten Gebets gibt es nicht.

Kritiker der deutschen Übersetzung versuchen nun, mit einer Rückübersetzung ins Aramäische und und dem Verweis auf unterschiedliche Wortbedeutungen nachzuweisen, dass eigentlich etwas anderes gemeint sei, in etwa des Inhalts, wie ihn die französischen Bischöfe mit Beginn des neuen Kirchenjahres beschlossen haben: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Der Streit, ob eine solche Formulierung nun Jesu Worte verfälscht oder im Gegenteil genau trifft, verweist aber im Kern vor allem darauf, wie wenig der fundamentalistische Hinweis „Das steht doch so in der Bibel“ am Ende austrägt. Jeder Wortlaut jeder religiösen Schrift, ob übersetzt oder nicht, bedarf immer der (begründeten) Auslegung.

So erkennen manche in der Gebetspassage Gottes dunkle Seiten, die uns Menschen unverständlich bleiben, aber nicht verschwiegen werden dürfen. Andere verstehen Versuchung eher als Bewährungsprobe, von der in der Bibel oft erzählt wird. Die Bitte des Vaterunsers wäre dann Ausdruck des Wissens um die menschlichen Schwächen und der Angst, nicht bestehen zu können. Aus der Bitte lässt sich aber auch die grundsätzliche Frage nach unserem Gottesbild ableiten: Glauben wir an einen Gott, der unmittelbar ins Weltgeschehen eingreift (was sofort die Frage aufwirft, wo er das tut und wo nicht)? Oder wie verhält es sich mit der „Freiheit des Christenmenschen“?

Das Versuchungs-Thema ist dabei längst nicht die einige Bitte des Vaterunsers, die Verständnisfragen aufwirft. Auch das „täglich Brot“ dreht sich keineswegs nur um den gefüllten Kühlschrank. Gemeint ist wohl viel stärker das himmlische Brot, die geistliche Nahrung, die tägliche Suche nach der Nähe Gottes.

Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Intervention des Papstes zu einer Änderung der seit 1971 verwendeten ökumenischen Fassung des Gebetes führt, so verdeutlicht sie doch: Einfache Gewissheiten sind in der Bibel kaum zu haben. Glaube schärft sich erst im Widerspruch.

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