Taxi-Therapie gegen den Novemberblues

Stockholm (dpa) - Der November in Stockholm kann fies sein. Da kann das letzte Herbstlaub noch so malerisch an den bunten alten Häusern vorbeiflattern:

Taxi-Therapie gegen den Novemberblues
Foto: dpa

Wenn vor vier Uhr nachmittags die Sonne untergeht, droht der Blues. „Der Winter ist für viele Menschen hart“, sagt die Psychologin Mia Fahlén. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen will sie einsame Schweden vor grauer Grübelei retten - mit Therapie auf der Taxifahrt. Eine Woche lang sitzt Fahlén in Stockholmer Taxis auf der Rückbank. Wer einen Wagen bucht, bekommt ihre Hilfe auf Wunsch dazu, ohne Aufpreis. Zum Psychologen zu gehen sei für viele Schweden ein großer Schritt, sagt sie. „Ins Taxi zu steigen ist einfacher.“

Ganz uneigennützig ist die Aktion des größten Taxiunternehmens in Stockholm natürlich nicht. Auf dem umkämpften schwedischen Taximarkt müssen sich die Konkurrenten mit originellen Einfällen behaupten. „Der Wettbewerb ist in Schweden sehr hart, vor allem in Stockholm“, sagt Gabriel Dahlander von der schwedischen Transportgewerkschaft. „Da wollen sie ihre Position verteidigen.“ Seit der Markt in den 90er Jahren dereguliert wurde, tobt der Preiskampf. Dazu mischt der US-amerikanische Fahrdienst-Vermittler Uber die Branche auf. Uber vermittelt über eine Smartphone-App Fahrdienste und engagiert auch private Fahrer.

Auf die Marketing-Idee kam Taxi Stockholm, weil Fahrer vom Gesprächsbedarf ihrer Kunden erzählten. „Viele Leute brauchen jemanden zum Reden und öffnen sich ihnen“, sagt Sprecherin Natalia Santos. „Der Winterblues ist hier in Stockholm jedes Jahr ein Thema.“ Eine Umfrage unter Fahrgästen habe bestätigt: „Die Taxifahrt ist eine gute Gelegenheit zum Nachdenken.“

Allerdings dauert sie manchmal auch nur ein paar Minuten. „Die Länge der Fahrt wird entscheidend dafür sein, wie weit wir kommen“, sagt Psychologin Fahlén. Nach einer Blitztherapie zwischen Hauptbahnhof und Rathaus alle Probleme los zu sein, das können die Taxi-Patienten nicht erwarten. „Aber wir können ihnen neue Wege aufzeigen, wie sie damit umgehen können“, sagt die 39-Jährige. „Das Problem in Worte zu fassen könnte ein erster Schritt sein.“

Wegen psychischer Krankheiten fehlten die Schweden heute am häufigsten bei der Arbeit, erzählt Fahlén. Hilfe zu bekommen sei aber schwierig, selbst in einer Großstadt wie Stockholm. „Außerdem ist es auch stressig, in einer großen Stadt zu leben“, sagt sie. „Es gibt viele Singles in Stockholm, und ich treffe viele Menschen, die sich einsam fühlen.“

In ihrem Alltag als Psychologin der Klinik „Wemind“ behandelt Fahlén ihre Patienten mit kognitiver Verhaltenstherapie, die besonders auf Depressionen und Angst abzielt. Oft erfordere diese Behandlung 10 bis 20 Sitzungen. „Verglichen damit sind 15 Minuten in einem Taxi natürlich nichts“, sagt sie. „Aber ich hoffe, dass ich den Menschen trotzdem einen Rat mit auf den Weg geben oder ihnen helfen kann, ihr Problem ein bisschen besser zu verstehen.“

Ob die Taxi-Therapie gestressten und einsamen Stockholmern wirklich nützt, sei schwierig abzuschätzen, sagt Per Carlbring, Professor für klinische Psychologie an der Universität Stockholm. „Das kann gut oder schlecht ausgehen.“ Während mancher dadurch vielleicht zu Recht merkt, dass er tiefer gehende Hilfe braucht, könnten die Therapeuten die Seelenmassage auf der Rückbank auch nutzen, um Patienten zu werben. Dass alle Taxi-Therapeutinnen lizenziert seien, spreche für ihre Qualität.

Aus Mangel an Patienten steigt Fahlén nicht ins Taxi. „Wir haben in unserer Klinik so viel zu tun, dass wir oft Patienten ablehnen müssen“, sagt sie. „Viele Menschen sind frustriert, dass es so lange dauert, einen Therapieplatz zu bekommen.“ Kommende Woche müssen die Stockholmer dafür nur ein Taxi heranwinken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort