Sozialer Wandel Streetart in Mexiko - Mit Farbe gegen Gewalt

Mexiko-Stadt (dpa) - Die Straßenhändlerin Gabriela Fernández Romero lebt und arbeitet seit 20 Jahren am selben Ort. In einer kleinen Blechhütte von zwei mal drei Metern bietet die 53-Jährige den Nachbarn Lebensmittel, Snacks und Wasser an.

Sozialer Wandel: Streetart in Mexiko - Mit Farbe gegen Gewalt
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Bisher haben sich nicht viele Menschen auf den einsamen staubigen Platz verirrt, der am Fuß der Hügel der mexikanischen Millionenstadt Ecatepec liegt. Das könnte sich bald ändern.

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Denn in Fernández' Umgebung ist es farbenfroh geworden: Seit Anfang Oktober schweben über ihren Kopf die bunten Gondeln des Mexicable hinweg, der ersten Seilbahn Mexikos. Sie verbindet das unübersichtliche Geflecht der Stadtteile von Ecatepec.

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Kurz zuvor sind auf mehrstöckigen Wohnhäusern zwei riesige Wandmalereien entstanden. Fernández schaut direkt auf ein Mandala mit Schmetterlingen und Blumen auf leuchtend rotem Hintergrund. Hinter ihrem Rücken zwei Porträts: Während das Gesicht eines Mädchens schmerzverzerrt ist, wirkt eine Frau mittleren Alters hoffnungsvoll.

Inzwischen zieren 50 Kunstwerke die Häuser entlang der Seilbahn. Sie gehören alle zum Projekt Arte Urbano (Urbane Kunst), das die Eventmanagerin Monica Cortina gemeinsam mit der Regierung des Bundesstaats México initiiert hat. „Ich nenne es die Theorie der Farbe. Sie hebt die Laune der Menschen in einer Nachbarschaft, die von Gewalt geprägt ist“, sagt die 48-Jährige.

Mehr als 1,6 Millionen Menschen leben in dem Ballungsgebiet nördlich von Mexiko-Stadt. Der Ruf als Kriminalitätshochburg eilt Ecatepec voraus. Die Gemeinde zählt seit Jahren zu den Städten mit den meisten Tötungsdelikten in Mexiko. 2014 wurden dort 60 Frauen ermordet - Platz eins in Mexiko.

Auch die Straßenverkäuferin Fernández hat sich in den vergangenen 20 Jahren nie weit von ihrer Verkaufs- und Schlafhütte wegbewegt: „Ich kenne Ecatepec eigentlich nicht. Ich hatte immer Angst, die Gassen nach oben zu laufen, vor allem im Dunkeln“. Von dieser Angst will Cortina sie befreien. Die Eventmanagerin konnte das Vertrauen der Straßenhändlerin gewinnen. Nun nimmt sie Fernández auf eine Tour im Mexicable mit und zeigt ihr die Wandmalereien.

Der Mexicable deckt sieben Stationen auf fünf Kilometern ab. Für die Strecke brauchen Cortina und Fernández eine Viertelstunde. Bisher dauerte die Fahrt bis zur höchstgelegenen Endstation dreimal so lang. Wer für den Weg ein Taxi nahm, musste zwielichtige Fahrer fürchten, die ihre Passagiere häufig ausrauben. Zu Fuß konnte man sich leicht in den verschlungenen, steilen Gassen verirren und Räuberbanden begegnen.

Fernández' Augen leuchten, als die Gondel über ihrer Hütte vorbeizieht: „Das ist mein Viertel!“, ruft sie stolz. Reaktionen wie diese erhofft sich Cortina auch von anderen Einwohnern Ecatepecs. Die Idee hinter ihrem Projekt ist einfach: „Bisher wurden die Menschen hier nur stigmatisiert und gemieden. Nun bekommen sie ein Zugehörigkeitsgefühl“. So wachse auch die Achtsamkeit für das Viertel. Ihren Stolz drücken viele Mitbewohner mit dem Twitter-Hashtag „La calle es tuya“ (Die Straße gehört dir) aus.

Cortina hat die Idee von ihren Reisen mitgebracht. Auch in La Boca in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires konnte mit Streetart das arme und gefährliche Viertel aufgewertet werden. Die Kunst habe die Nachbarschaft zu etwas Besonderem gemacht, sagt die Eventmanagerin. Erst luden die Einwohner Verwandte ein, dann kamen die Touristen. Im besten Fall können Handel und Gewerbe von einer solchen Entwicklung profitieren.

Treffen mit den lokalen Streetart-Künstlern Oliver Ortega und Will Mera an der Endstation des Mexicable: Beide wissen, wie es ist, in Ecatepec aufzuwachsen. Für die meisten Kinder hier gebe es keine Zukunftsaussicht. „Wir haben in den vergangenen Wochen bemerkt, wie neugierig sie die Kunstwerke hinterfragen. Jedes Motiv hat eine Geschichte. Nun wollen sie selbst den Pinsel in die Hand nehmen. Die Kunst könnte ihnen Perspektiven geben“, sagt der 31 Jahre alte Ortega.

Mehrere Wände haben die beiden gestaltet: Ihre Werke zeigen Tiere wie Bären und Haie in 3D. „Für die Motive gab es keine Vorgabe“, so Cortina. Ihr sei nur wichtig gewesen, dass alle Hoffnung geben. Viele Künstler haben sich dafür entschieden, Mädchen und Frauen abzubilden. „In einer Gegend, in der das weibliche Geschlecht so wenig wert ist, können wir den Frauen vielleicht helfen, dass sie wieder respektiert werden.“

45 Künstler waren an dem Projekt Arte Urbano beteiligt. So auch der international bekannte US-Künstler David Flores, der für Ecatepec den mexikanischen Unabhängigkeitskämpfer José María Morelos gemalt hat.

Das Projekt Arte Urbano ist inzwischen abgeschlossen, weitere Gemälde sind nicht geplant. Doch Cortina hat noch große Ziele: Wenn es nach ihr ginge, soll Ecatepec die Stadt mit den meisten Streetart-Werken in Mexiko werden. „Häuser gibt es hier jedenfalls genug, die noch Farbe vertragen könnten. Ich würde mir wünschen, dass sich nun die Nachbarn selbst daran machen, ihre Wände zu verzieren“.

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