Spaniens kuriose Sommerfestivals

Madrid (dpa) - Im spanischen Örtchen Buñol sieht es aus, als sei eine Ketchup-Flasche explodiert. Zehntausende Gemüsefreunde haben sich zuvor eine Stunde lang tonnenweise überreife Tomaten um die Ohren gehauen.

Spaniens kuriose Sommerfestivals
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„La Tomatina“ heißt das Spektakel, das jedes Jahr am letzten Mittwoch des Augusts in der Gemeinde nahe Valencia abgehalten wird. Hinter dem niedlichen Namen verbirgt sich eine handfeste Lebensmittelschlacht. Die Organisatoren raten deshalb, nicht unvorbereitet in das matschige Treiben einzugreifen: „Zieht euch was Altes an, das ihr sowieso wegwerfen wolltet“, warnen sie auf der Webseite. Festes Schuhwerk, eine Taucherbrille und eine wasserfeste Kamera seien ebenfalls zu empfehlen.

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An die Ursprünge der Tomatina erinnert sich niemand mehr so genau. Vor etwa 70 Jahren wurde die Tradition geboren, so viel scheint sicher. Eine Version besagt, dass damals eine Gruppe Jugendlicher einen Straßenmusikanten geärgert haben soll, der daraufhin zu Tomaten griff, um sich zu wehren - und so die erste Schlacht entfachte. Andere meinen, die Tradition sei bei einem Festumzug geboren, bei dem Jugendliche die als Riesen verkleideten Teilnehmer mit Tomaten bewarfen, weil sie von dem Spektakel ausgeschlossen waren. Jedenfalls fand der Ort so viel Gefallen an dem matschigen Spaß, dass er bald zum Brauchtum aufgewertet wurde.

Unter der strengen Franco-Diktatur wurde die Tomatina Mitte der 1950er Jahre zeitweise verboten, erinnert sich Bürgermeister Rafa Pérez. Aber sie fand wieder ins Leben zurück und wurde 2002 zu einem „Fest von nationalem Interesse“ erklärt. „Als Bürger bin ich sehr stolz auf diese Fiesta“, meint Pérez.

Heute kommen Feierwütige aus aller Welt, um dem Tomatenkrieg beizuwohnen - „das nahm zeitweise so sehr Überhand, dass die Teilnehmerzahl 2013 auf 22 000 begrenzt wurde.“ 60 Prozent seien Ausländer, auch Deutsche reisten mit Vorliebe zu dem Spaß. Dabei ist nach genau 60 Minuten schon wieder Schluss mit lustig.

In Spanien gibt es Tausende kuriose Festivals, die sich bei der Bevölkerung ebenso wie bei Touristen großer Beliebtheit erfreuen. Manche sprechen von 25 000 „Fiestas“ - einige weltbekannt, wie etwa die Stierhatz von Pamplona, bei der im Juli aufgescheuchte Bullen durch die von Schaulustigen bevölkerten Gassen der baskischen Gemeinde getrieben werden. Andere sind weniger berühmt, aber dennoch höchst skurril - und auch ein wenig gruselig.

Jedes Jahr am 29. Juli deutet im Örtchen As Neves in der galicischen Provinz Pontevedra alles auf eine Beerdigung hin. Aber der Schein trügt. Es ist der Tag der Heiligen Martha von Bethanien, der Schwester von Lazarus, der laut Bibel wenige Tage nach seinem Tod von Jesus wieder zum Leben erweckt wurde. Auch in As Neves geht es um „Auferstandene“, um Mitbürger, die sterbenskrank waren oder Nahtoderfahrungen hatten und wieder gesund geworden sind.

Die Genesenen legen sich aus Dankbarkeit mit gefalteten Händen in offene Särge, die dann von starken Männern durch das Dorf getragen werden. Im Durchschnitt hätten sich in den vergangenen Jahren vier oder fünf Mitbürger kurzzeitig in hölzerne Sarkophage gebettet, sagt eine Mitarbeiterin des Rathauses. „Es handelt sich um eine Art Opfer, das sie der Jungfrau darbringen.“ Die morbide Tradition locke auch viele Schaulustige an, erzählt sie stolz.

In Castrillo de Murcia bei Burgos geht es hingegen um Babys und um einen sprungwütigen Teufel. Am Sonntag nach Fronleichnam werden unter den Augen zahlreicher Neugieriger mehrere Neugeborene und Kleinkinder auf eine große Matratze gelegt. Dann kommt der gelb-rot gekleidete Beelzebub, der hier „El Colacho“ heißt, nimmt Anlauf - und macht einen mächtigen Satz über die Kinder hinweg. Das sieht nicht ungefährlich aus, so manches Elternpaar mag bei dem Anblick schon ängstlich zusammengezuckt sein. Seit 1620 gibt es den seltsamen Brauch, der die Kinder vor Unheil und Krankheit schützen soll.

Andernorts geht es mehr um das leibliche Wohl und weniger um Religion und Aberglauben. In der berühmten Weinregion Rioja bespritzen sich Leute mit Tausenden Litern „Vino tinto“ (Rotwein), und erst Mitte August bewarfen und beschmierten sich am Zurriola-Strand in San Sebastián Naschkatzen aus aller Welt mit 500 Litern Sahne. Ekliger geht es in El Puig bei Valencia zu.

„La batalla de ratas“ heißt das tierische Volksfest - der „Rattenkrieg“. Der Name ist Programm: Tatsächlich werden hier Ratten in Tongefäße gesteckt, erschlagen und durch die Luft geworfen. Obwohl die Behörden das Gemetzel an den Nagern schon länger verbieten wollen, lassen sich die Rattenfänger den Spaß nicht austreiben. Die Spanier und ihre Fiestas gehören eben zusammen wie Tortillas und Tomaten. Außer bei der Tomatina. Da geht die Tomate solo.

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