Mit Mitte 40 in den Ruhestand durch Extrem-Sparen

Davon träumt so mancher: Lars Hattwig ist erst 47 - und auf kein Gehalt mehr angewiesen. Der Weg dorthin dauerte Jahre und war steinig.

Lars Hattwig ist ein sogenannter Frugalist (Extrem-Sparer). Der 47-Jährige hat es geschafft, finanziell frei zu werden - seit drei Jahren müsste er nicht mehr arbeiten.

Lars Hattwig ist ein sogenannter Frugalist (Extrem-Sparer). Der 47-Jährige hat es geschafft, finanziell frei zu werden - seit drei Jahren müsste er nicht mehr arbeiten.

Foto: Britta Pedersen

Berlin. Für sein Ziel hat Lars Hattwig mit dem Rauchen aufgehört, ist weder verreist, noch mit Freunden ausgegangen. In seiner Wohnung brannte nur eine Glühbirne und Besuch musste darauf achten, die Toilettenspülung möglichst kurz zu drücken. Der 47-Jährige hat es geschafft, finanziell frei zu werden. Vor drei Jahren hat er seine Festanstellung aufgegeben, weil er nicht mehr auf sein Gehalt angewiesen ist. Dafür hat der Berliner mehrere Jahre freiwillig auf vieles verzichtet. Leute mit diesem Lebensstil nennt man Frugalisten.

Mit Mitte 40 in den Ruhestand durch Extrem-Sparen
Foto: Andrea Warnecke

Frugal bedeutet einfach, bescheiden, mäßig. Menschen, die sich selbst so bezeichnen, sparen mit allen Mitteln einen möglichst großen Teil ihres Einkommens, investieren das Geld in Aktien und Fonds. So häufen sie im Erfolgsfall ein Vermögen an, mit dem sie bis an ihr Lebensende auskommen könnten, ohne einer Arbeit nachzugehen.

Der frugale Lebensstil entstand nach der Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren in den USA. „Die Amerikaner machen die Erfahrung, dass viele Landsleute nach wie vor sehr bewusst darauf achten müssen, ihr Geld zusammenzuhalten“, heißt es beim Institut für Trend- und Zukunftsforschung in Heidelberg. „Der Lifestyle der Frugalisten mit ihrem neuen bewussten Konsumverhalten hilft ihnen dabei.“

Der Traum von der finanziellen Freiheit fing für Lars Hattwig ausgerechnet mit einer privaten Pleite an. Als er 2003 in der Bank steht und der Automat kein Geld ausspuckt, fängt er an zu grübeln. Zunächst darüber, wer ihm 50 Euro leihen könnte. Dann, warum er als festangestellter Meteorologe jeden Monat sein Konto leerräumt. „Mein Gehalt war nicht schlecht, aber ich habe einfach alles ausgegeben“, sagt Hattwig. „Ich wusste, dass ich etwas ändern muss.“

Hattwig hat für seine Ruhestand fleißig gespart. Foto: Symbol, Andrea Warnecke/dpa

Er beginnt, einen Teil seines Gehalts sofort auf ein anderes Konto zu überweisen. Die monatlichen Ersparnisse investiert Hattwig: zuerst in Aktien, dann in Investmentfonds. So wächst sein Vermögen auf rund 50 000 Euro - bis ihn 2008 die Finanzkrise erwischt. „Auf einmal hatte ich alles verloren. In dieser Zeit habe ich mit dem Frugalismus angefangen.“ Hattwig behält seine Geldanlagen, die später wieder kräftig an Wert zulegen sollten. Indem er auf fast alles verzichtet, spart er monatlich bis zu 70 Prozent seines Einkommens - alles für das Ziel der finanziellen Freiheit.

Immerhin jeder zehnte Haushalt in Deutschland könnte etwa 13 Jahre mit seinen Ersparnissen auskommen - vorausgesetzt der Lebensstandard verändert sich nicht. Das zeigt eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2017. Fünf Prozent der Haushalte könnten sogar zwei Jahrzehnte lang von ihrem Vermögen leben. Demgegenüber stehen 30 Prozent der Haushalte, bei denen nach wenigen Wochen oder Monaten die Reserven verbraucht wären. „Vor allem Alleinerziehende und deren Kinder zählen zu dieser Gruppe“, schreibt die Volkswirtin Anita Tiefensee.

Wie viele finanziell freie Menschen ihr Vermögen mit Frugalismus aufgebaut haben, ist nicht bekannt. Lars Hattwig schätzt, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung so lebt, wie er es einige Jahre getan hat. Vor allem für Geringverdiener ist ein Leben als Frugalist schwierig. Wer monatlich weniger als 1000 Euro zur Verfügung hat, bräuchte Jahrzehnte, um finanzielle Freiheit zu erreichen, schätzt der 47-Jährige.

„Die Fähigkeit, individuell Vorsorge treffen zu können, setzt ein regelmäßiges, verlässliches Einkommen voraus, das oberhalb der Existenzsicherung liegt“, erklärt Tiefensee. „Das ist bei Weitem nicht für jeden der Fall.“ Dazu kämen unkalkulierbare Risiken wie Jobverlust oder eine längere Krankheit. Auf der anderen Seite gebe es auch Gutverdiener, für die das extreme Sparen unmöglich sei, sagt Lars Hattwig: „Für Menschen, die immer das Beste von allem haben wollen, funktioniert diese Strategie nicht.“

Hattwig ist überzeugt: Eine Zeit lang die Hälfte aller Einkünfte zu sparen, sei lehrreich und schaffe das nötige Bewusstsein fürs Geld. Doch auf Dauer könne er sich ein Leben als Frugalist nicht mehr vorstellen. „Irgendwann kommt man an den Punkt, da kann man den Gürtel nicht mehr enger schnallen.“ Er selbst lebt noch immer sparsam, fährt aber auch mal in den Urlaub oder geht zum Essen ins Restaurant.

Seine Stelle als Meteorologe beim Wetterdienst hat Hattwig 2015 aufgegeben. Seitdem ist er finanziell frei, könnte von seinem Ersparten und den Dividenden leben. Trotzdem arbeitet der 47-Jährige weiterhin, macht selbstständig Finanzberatung. Aber nur so viel, wie er möchte: „Ich kann auch mal eine Woche nicht arbeiten, ohne es auf meinem Konto zu merken.“ dpa

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