Frankreich: Foltershow als TV-Experiment

Teilnehmer einer fiktiven Show versetzen einem Kontrahenten tödliche Stromstöße.

Paris. "Wie weit darf das Fernsehen gehen?" Diese ethische Grundsatzfrage beschäftigt die französische TV-Nation. Auslöser der kontroversen Debatte ist die fiktive Doku-Show "Le jeu de la mort" ("Das Todesspiel"), das der staatliche Kanal "France 2" am Mittwochabend zur Hauptsendezeit ausstrahlte.

Christoph Nick ist der Erfinder dieser verstörenden TV-Doku. Unter dem Vorwand, einen Pilotfilm für eine neue Sendereihe namens "Zone Xtrème" drehen zu wollen, trommelte er ohne große Mühen 80 willige Kandidaten zusammen. Das Szenario: Ihr Gegenspieler in einem TV-Quiz ist ein gewisser Jean-Paul, der - sie wissen es nicht - in Wirklichkeit ein Schauspieler ist.

Die Moderatorin Tania Young verwandelt die Kandidaten in willige Vollstrecker, indem sie massiv dazu auffordert, Jean-Paul für falsche Antworten mit Stromschlägen zu bestrafen. Dass diese nur gestellt sind, ahnen die TV-Kandidaten ebenfalls nicht.

Wie üblich beim Reality-TV fungiert ein brüllendes Publikum als Stimmungsverstärker. Und das "Todesspiel", eine recht genaue Rekonstruktion des bekannten "Milgram"-Experiments (1961) aus den USA, nimmt seinen Lauf.

Die TV-Kandidaten legen den Hebel buchstäblich um, anfängliche Hemmungen verflüchtigen sich rasch. Jean-Paul ist für die Kandidaten scheinbar an einen elektrischen Stuhl gefesselt. Obwohl er sich vor Schmerzen windet und laut schreit ("Aua, das tut so weh"), kennen die "Folterknechte" keine Skrupel. Sie bedienen eifrig die silbernen Metallknüppel, fangen an bei 20 Volt, steigern sich auf 120, 280, 380 bis auf 480 Volt, auch wenn das Opfer längst kein Lebenszeichen mehr von sich gibt und alle roten Lampen leuchten.

81 Prozent der Kandidaten gingen bis zum Letzten, sprich bis zur tödlichen Dosis, nur 16 Spieler waren "ungehorsam".

"Das Todesspiel" bestätigt die beklemmende Erkenntnis des früheren Experiments. Befiehlt man ganz normalen Menschen, Testpersonen Stromschläge zu verpassen, folgt eine deutliche Mehrheit dieser perfiden Versuchsanordnung, ihr Gewissen spielt keine Rolle.

Regisseur Nick und die Verantwortlichen des Senders seien geschockt von dem Resultat gewesen, berichtet die französische Tageszeitung "Le Monde".

Nick will mit dem fiktiven "Todesspiel" die zunehmende Verrohung des Fernsehens anprangern. "TV hat Macht, und ich frage mich ernsthaft, ob es aus uns Henker machen kann", sagt er der Zeitung "Le Parisien".

Der Autor Jean-Claude Guillebaud pflichtet ihm bei: "Der letzte Schritt zur Gewinnung der Zuschauer-Aufmerksamkeit wird der tatsächliche Mord sein."

Einige Medien kritisierten den TV-Mann jedoch für seinen Ansatz. Viele Teilnehmer hätten gar nicht geglaubt, dass es sich um echte Stromstöße handle, schrieb "Libération".

Der Soziologe Gérald Bronner wirft Nick vor, er verfolge eher ideologische als wissenschaftliche Gründe: "Er wollte unbedingt demonstrieren, dass das Fernsehen seine Zuschauer zu Barbaren macht."

Das Medienecho war gewaltig, das Zuschauerinteresse nicht: Obwohl vor der Sendung massiv die Werbetrommel für das "Todesspiel" gerührt wurde, wollten lediglich 3,4 Millionen Menschen wollten den TV-Schocker sehen, 6,4 Millionen entschieden sich für eine bewährte US-Krimi-Serie beim Privatsender TF1.

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