Fall Emanuela Orlandi „Sucht, wohin der Engel schaut“ - Graböffnung soll Vatikan-Krimi lösen

Rom · Um wenige Kriminalfälle ranken sich so viele Spekulationen wie um den Fall Emanuela Orlandi. Die Tochter eines Vatikan-Dieners verschwand vor mehr als 35 Jahren in Rom. Der Kirchenstaat lässt nun zwei Gräber öffnen. Auf einem deutschen Friedhof.

 Die Familie Orlandi soll einen Hinweis bekommen haben: „Sucht, wohin der Engel schaut.“ Der Vatikan lässt zwei Gräber öffnen.

Die Familie Orlandi soll einen Hinweis bekommen haben: „Sucht, wohin der Engel schaut.“ Der Vatikan lässt zwei Gräber öffnen.

Foto: dpa/Jan Woitas

Der deutsche Pilgerfriedhof ist eine kleine quadratische Oase der Ruhe hinter dicken Vatikanmauern. Hier wachsen Zypressen, Palmen schwingen sachte im Wind, Vögel zwitschern. Ansonsten Stille. Vom Touristenrummel am Petersplatz ist kaum etwas zu hören. Als Deutscher kann man normalerweise die päpstliche Schutztruppe der Schweizergarde an den Toren des Vatikans bitten, einen hinein zu lassen. Normalerweise darf man das. Jetzt nicht. Am Donnerstag wird der Campo Santo Teutonico zum Schauplatz eines Ereignisses, das einen der mysteriösesten Vermisstenfälle in der Geschichte des Vatikans lösen soll.

Dann sollen zwei Gräber geöffnet werden. Darin könnten möglicherweise die Gebeine des Mädchens Emanuela Orlandi liegen. Die Tochter eines Vatikan-Hofdieners verschwand vor 36 Jahren - und niemand weiß bis heute, wieso und warum. Weil die Geschehnisse nie aufgeklärt wurde, ranken sich seitdem die wildesten Spekulationen um den Fall. Es sei ein „langer, schmerzhafter und komplexer Fall“, sagte Papstsprecher Alessandro Gisotti zuletzt.

Es war der 22. Juni 1983, als die damals 15 Jahre alte Emanuela nach einer Musikstunde nicht mehr nach Hause kam. Sie war die Tochter eines Dieners von Papst Johannes Paul II. Die Erklärungsversuche waren so zahlreich wie abstrus. Einmal sollte Emanuela Opfer Krimineller geworden sein, die den Papst-Attentäter Ali Agca freipressen wollten. Dann wieder hieß es, Emanuela sei von Vatikandiplomaten entführt und auf Sexpartys ausgebeutet worden.

Auch die römische Unterwelt kam ins Spiel. Auf der Suche nach Spuren wurde sogar das Grab des Mafiabosses Enrico De Pedis in der Kirche Sant'Apollinare in Rom geöffnet. Ergebnislos. Im Herbst letzten Jahres wurden dann Knochen bei einer vatikanischen Botschaft in Rom entdeckt und untersucht. Wieder Fehlanzeige. Sie stammten nicht von Emanuela, sondern aus der Antike. Vor zwei Jahren veröffentlichte ein italienischer Journalist ein vermutlich gefälschtes Dokument, das nahelegen sollte, dass der Vatikan Emanuela verschwinden lassen wollte.

 Emanuela Orlandi verschwand vor mehr als 30 Jahren in Rom.

Emanuela Orlandi verschwand vor mehr als 30 Jahren in Rom.

Foto: dpa/-

Falschmeldungen, falsche Fährten und für die Familie unzählige enttäuschte Hoffnungen: Die Graböffnung auf dem Campo Santo Teutonico soll nun endlich Licht ins Dunkel bringen. „Es ist ein neues Kapitel“, sagte Emanuelas Bruder, Pietro Orlandi, der Deutschen Presse-Agentur. Er ist es, der seit Jahren unermüdlich für die Wahrheit kämpft. „36 Jahre lang gab es im Vatikan keinerlei Kooperation.“ Mit der Einwilligung zur Graböffnung habe der Vatikan erstmals eingeräumt, dass es eine „interne Verantwortung“ oder Mitwisser im Kirchenstaat gegeben habe oder gebe.

Es habe mehrere Hinweise auf den Pilgerfriedhof gegeben, der zwar hinter Vatikanmauern liegt, aber italienisches Staatsgebiet ist. Hier liegen Geistliche und Fürsten aus dem deutschsprachigen und flämischen Raum begraben. Vor allem auf das Grab mit einem Marmorengel richtet sich das Augenmerk. Dort ist Fürstin Sophia bestattet, eine Verwandte des Kardinals Gustav Adolf von Hohenlohe. Die Familie Orlandi will einen Hinweis bekommen haben: „Sucht, wohin der Engel schaut.“ Dass der Vatikan nun zudem das angrenzende Grab öffnen lässt, bedeutet für Pietro Orlandi, dass die Ermittlungen dieses Mal durchaus gründlich sind.

Er meint, dass es der Willen von Papst Franziskus sei, die Sache aufzuklären. „Ich habe ihn kurz nach seinem Amtsantritt getroffen. Er hat gesagt, Emanuela ist im Himmel.“ Nun also der nächste Schritt in der Familientragödie: Die fraglichen Gräber seien zuletzt 2010 bei einer Renovierung durch Steinmetze geöffnet worden, sagte der Friedhofsleiter Hans-Peter Fischer der Medienplattform Vaticannews. Der Friedhof habe vor einiger Zeit in die Öffnung der Gräber eingewilligt. Für Fragen, warum ausgerechnet diese Gräber zu öffnen sind und ob es einen Zusammenhang mit den Bestatteten gibt, ist er später nicht erreichbar.

Bei der Graböffnung werden Familienangehörige von Emanuela sowie von den Bestatteten dabei sein. Daneben Kriminaltechniker und Ermittler. Journalisten müssen draußen bleiben. Die gefundenen Knochen werden auf ihr Alter untersucht, ein DNA-Abgleich soll stattfinden. „Ruhe in Frieden“ steht auf dem Grab mit der Engelsskulptur. Zumindest diese Woche wird die Ruhe nicht so schnell zurückkehren.

(dpa)
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