Interview nach dem Brand im Krefelder Affenhaus „Zoos haben sich zu einer Arche Noah entwickelt“

Krefeld · Clemens Becker ist Experte für Zuchtprogramme und erklärt, warum er Tierparks und den Neuaufbau des Krefelder Affenhauses für wichtig hält.

 Clemens Becker (r.) auf einer Orang-Station auf Borneo mit dem Partner der Karlsruher Artenschutzstiftung, dem Niederländer Willie Smits, und einem verwaisten Orang-Utan-Jungtier.

Clemens Becker (r.) auf einer Orang-Station auf Borneo mit dem Partner der Karlsruher Artenschutzstiftung, dem Niederländer Willie Smits, und einem verwaisten Orang-Utan-Jungtier.

Foto: ja/Clemens Becker

Nach der Brandkatastrophe im Krefelder Zoo in der Silvesternacht ist neben aller Trauer und Betroffenheit auch Kritik an der Haltung von Zootieren im Allgemeinen und die der Menschenaffen im Besonderen lauter geworden. Tierfreunde und einzelne Tierschutzorganisationen fordern einen Stopp der „Tier-Gefängnisse“ und sprechen sich gegen den geplanten Bau eines neuen Affenhauses in Krefeld aus. Vielmehr sollten die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung leben und Artenschutz in den Herkunftsländern betrieben werden. Unsere Zeitung sprach mit Clemens Becker darüber. Der stellvertretende Zoodirektor in Karlsruhe ist  „Erfinder“ der Tierbeschäftigung von Menschenaffen in Zoos, kennt das Krefelder Affenhaus von Beginn an, ist Experte für Zuchtprogramme und Artenschutz von Orang-Utans und hat dazu vor drei Jahren die inzwischen erfolgreich arbeitende Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe  (Infos: https://www.artenschutzstiftung.de) gegründet.

Was bedeutet für Sie der Tod der Tiere?

Clemens Becker: Ein großer Verlust — im Hinblick auf alle Tiere. Als Koordinator der Zuchtprogramme für Orang-Utans in den europäischen Mitgliedszoos kann ich jedoch nur den Tod dieser fünfköpfigen Krefelder Gruppe im Hinblick auf Erhalt der Art weitreichend beurteilen. Mit dem 19-jährigen Mann Bunjo an der Spitze, der 2008 aus Köln nach Krefeld gekommen ist, und der Krefelder Dame „Sungai“, haben wir immer auf weiteren Nachwuchs in Krefeld gehofft. Die Zoos kaufen ja schon sehr lange keine Wildtiere mehr ein. Ich bin sehr froh, dass Hujan (geborene 2017) noch rechtzeitig an unsere europäische „Jungtier-Station  Monkey World“ in England weitergegeben wurde (Anmerkung Red.: Hujan ist aufgrund einer Erkrankung seiner Mutter per Hand aufgezogen und später — trotz aller Versuche — nicht mehr von ihr angenommen worden).

Welchen Stellenwert haben die Zuchtprogramme?

Becker: Weltweit sind über 13 200 verschiedene Tierarten massiv bedroht. Und in europäischen Zoos haben wir über 400 Zuchtprogramme.  Auf die Menschenaffen bezogen: Vor 100 Jahren gab es auf Sumatra und Borneo (den Herkunftsländern) eine Million Orang-Utans. Das war der natürliche Bestand. Innerhalb von 100 Jahren hat es der Mensch geschafft, durch übermäßige Jagd, um an die Babys als Haustiere ranzukommen, illegalen Wildtierhandel, großflächige Brandrodungen für Ölpalmen-Plantagen (zur Gewinnung von Palmöl) und der Vernichtung von natürlichem Lebensraum für eine wachsende Bevölkerung, die Zahl der Orang-Utans auf 50 000 auf Borneo und 7000 auf Sumatra zu reduzieren. Wenn das so weitergeht — und es spricht alles dafür — kann man an einer Hand abzählen, wann es dort keine Tiere mehr gibt. Und es sind ja nicht nur einzelne Tierarten bedroht, sondern inzwischen die Biodiversität.

Was ist damit gemeint?

Becker: Die Vielfalt der Arten, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Ökosysteme, zu der Lebensgemeinschaften, Lebensräume wie Wälder und Meere sowie auch Landschaften gehören. Diese drei Bereiche sind eng miteinander verbunden.

Was bedeutet das für moderne Zoos?

Becker: Den Zoos kommt eine immer wichtiger werdende Aufgabe zu. Sie haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte von Menagerie mit Tieren hin entwickelt zu einer Arche Noah. Indem wir bedrohte Tierarten als Paten für die noch in Freiheit lebenden Tiere in den Zoos vorstellen, machen wir auf ihre Gefährdung aufmerksam, werben im Rahmen von Artenschutzprogrammen für den Schutz ihrer natürlichen Lebensräume und helfen mit Fachwissen, Haltung und Zucht dazu, Tierarten zu erhalten und teilweise auch wieder auszuwildern. (Anm: Der Enkel des Krefelder Nashorn-Weibchens Nane ist eins von insgesamt 23 Spitzmaulnashörnern, das in einem geschützten Reservat im ostafrikanischen Ruanda in diesem Jahr wieder ausgewildert wird.) Das wird oft übersehen. Wenn es keine Zoos gäbe, müsste man sie heute gründen.

Dennoch sind Tierschützer der Meinung, Menschenaffen gehören nicht eingesperrt. Was sagen Sie als anerkannter Affen-Forscher dazu?

Becker: Menschen haben nicht das Recht zu sagen, du darfst leben oder nicht. Wir können nicht alle 1100 in den Zoos der Welt lebenden Orang-Utans freilassen, da für sie auf Borneo und Sumatra gar kein Platz mehr ist. Ein gleich großer Bestand von etwa 1000 Tieren sitzt irgendwo in Asien in Rehabilitationskäfigen, die müssten eigentlich zuerst raus in die Freiheit. Diese Tiere sind beschlagnahmt worden aus illegaler Haltung oder sie sind Opfer von Brandrodungen, bei denen Jungtiere ihre Mütter verloren haben. Das zusätzliche Einbringen  von „Zoo-Orang-Utans“ geht nur dann, wenn der Mensch neue Biotope schafft, eventuell auf isolierten Inseln in Flüssen, wo sie gut geschützt sind. Gleichzeitig müssen die Menschenaffen in den zoologischen Gärten aber gefordert und gefördert werden, durch artgerechte Beschäftigung und besondere Fütterungsformen (siehe Beispiele aus dem Hamburger Zoo: https://bit.ly/36hXwmB) und Medical-Training.

Wieso legen Sie darauf viel Wert?

Becker: Wir müssen die hochintelligenten Tiere auf höchstem psychischen Stand halten, damit zutage tritt, was sie ausmacht. Die wissenschaftlich geleiteten Zoos machen das schon seit Jahrzehnten. Immer mit dem Blick, die Tiere jederzeit in die Wildnis entlassen zu können. Wir haben es geschafft, 98 Prozent aller ursprünglich in der Natur enthaltenen Gene bei den Orang-Utans in Zoos zu erhalten. Das ist sehr wichtig für den Arterhalt, eine hohe „genetische Variabilität“ zu haben.

In welcher Form beteiligt sich der Krefelder Zoo an diesem Erhaltungszuchtprogramm (EEP)?

Becker: Der Krefelder Zoo war von Anfang an dabei, als 1988 offiziell das Erhaltungszuchtprogramm für Orang-Utans etabliert wurde. Ich hatte 1982 persönlich ein internes vom Zoologischen Institut Heidelberg mitgeführtes Zuchtprogramm per Schreibmaschine herausgegeben und war Anfang der 1980er-Jahre längere Zeit im Krefelder Zoo. Der hatte mit dem jetzt abgebrannten Affenhaus im Prinzip ein Modellhaus für alle kommenden Häuser geschaffen, die modifiziert wurden. Krefeld hatte sich gewagt, sozusagen unter einem Gewächshaus Freigehege mit viel Grün anzulegen, in deren hinteren Bereichen die Schlafboxen der Tiere sowie die Gänge der Pfleger lagen. Statt Sterilität und gekachelte Käfige wie damals anderenorts noch üblich.

Laut eines im vergangenen Jahres veröffentlichten Berichts des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) warnt die Uno davor, dass eine Million Arten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vom Aussterben bedroht sind. Sehen Sie das auch so?

Becker: Ja, aber mit einem Unterschied: Die jetzigen Tierarten sterben nicht aus, wie beispielsweise die Dinosaurier innerhalb von Jahr-Millionen Jahren. Heute müssen wir von Ausrottung sprechen: Wir Menschen rotten derzeit ganze Lebensräume mit Tieren und Pflanzen aus. Dass dieses wichtige Thema nun emotional hochkocht, dafür sind nicht nur die Zoos zuständig. Verantwortlich sind wir als Menschheit selbst, ebenso wie auch für die Klima-Erwärmung. Die Klimakatastrophen tragen ja vehement dazu bei, dass natürliche Lebensräume und Tiere ausgerottet werden.

Wie können deutsche und europäische Zoos den Artenschutz in den jeweiligen Herkunftsländern der Wildtiere unterstützen?

Becker: Wir müssen ab sofort ganze Biotope und Lebensgemeinschaften bewahren. Das ist der moderne Artenschutz, dem wir uns schnell öffnen müssen. In Karlsruhe haben wir vor drei Jahren die Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe gegründet und rufen die Bevölkerung zu Spenden auf.  Mit Hilfe eines Artenschutz-Euros zum Zoo-Eintritt und zahlreicher kleiner und großen Spenden. Waren es anfangs 40 000 Euro, die wir erhalten haben, sind es nach drei Jahren schon über eine halbe Million Euro.

Was machen Sie mit dem Geld?

Becker: Wir haben aktuell drei große Projekte. In Ecuador kaufen wir im Februar weitere 38 Hektar Land — ehemalige Viehweiden und Nebelwald (Anm: Name für Regenwald in höheren Lagen). Auf einem ersten Grundstück, erworben 2017, haben wir schon 8000 Bäume gepflanzt. Sie binden CO2 und wachsen zehnmal schneller vor Ort als in Deutschland. Schon in wenigen Jahren können sich dort wieder Kolibri- und Orchideenarten ansiedeln. In Kenia unterstützen wir gemeinsam mit dem WWF eine Masai-Dörfer-Gemeinschaft gegen die Zersiedelung und Zerstörung der großen Savannen-Landschaft und zum Schutz der Tiere sowie der Wald- und Wasserressourcen (Infos: https://bit.ly/37pzgRf ). Auf Borneo sind wir seit zwei Jahren in engem Kontakt mit dem Niederländer Willie Smits und unterstützen eins seiner Auswilderungsprojekte für Orang-Utans. Er hat über die Jahrzehnte schon mehr als 600 Tiere in die Natur zurückgebracht (siehe https://bit.ly/36aErCV und https://artenschutz.karlsruhe.de/b1.de ). Auch unterstützen wir Schulen und Krankenstationen vor Ort. Wir brauchen die dort lebenden Menschen, um die Natur und die Lebensräumem der Tiere, aber auch ihren eigenen zu schützen. Es geht heute nur gemeinsam. Das macht mir viel Freude und dafür möchte ich die Menschen auch hier begeistern und mitnehmen.

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