Ewa heizt den schweren Jungs ein

Die Regisseurin studiert mit neun Häftlingen in Aachen ein Theaterstück ein. Diplomatie spart sie sich dabei.

Ewa heizt den schweren Jungs ein
Foto: dpa

Aachen. Draußen würde sich der Typ wohl nicht viel von einer Frau sagen lassen: Vier Banküberfälle, Supermarkt überfallen, Raub — mehr als zwölf Jahre Haft. „Berufsrisiko“, sagt Cravatzo und zuckt mit den Schultern. Von Ewa Teilmans lässt er sich was sagen, viel sogar. Die Regisseurin ist nicht zufrieden mit seiner Performance, wenn er supercool diesen Werbesong „Supergeil“ singt. Die dynamische Frau springt zu ihm auf die kleine Bühne: „Du musst Dich zum Publikum öffnen, sonst sieht man nur deinen Hintern“, sagt sie forsch, indem sie sich das Mikro schnappt und vormacht, wie es geht.

Cravatzo muss aufpassen, dass er nicht über das Mikro-Kabel fällt. Und als die Chefin eine neue Idee hat, probiert er auch das. Kein Aufpasser, keine Sicherheitsmaßnahmen in der Mehrzweckhalle der JVA Aachen: Regisseurin Ewa Teilmans und neun Männer. „Die würden sich das nie kaputtmachen“, sagt die stellvertretende Leiterin der Aachener JVA Charlotte Adams-Doffen.

Besuch bei den Proben zu „Knast sucht den Superstar“. Ganz schlimme Schwerverbrecher, für die besondere Sicherheitsauflagen gelten, sind nicht dabei. Der Fiesling in der Jury heißt natürlich Dieter — wie der in der richtigen Show DSDS. Am 16. Oktober ist Premiere. Danach gibt es auch drei Vorstellungen für die Öffentlichkeit. „Wir schaffen das schon“, sagt Teilmans ihren Darstellern. Sie duzt jeden, und jeder spricht die Frau mit Ewa an. Ewa unterbricht, regt an, verbessert — wie man sich das bei Theaterproben so vorstellt. Am Theater Aachen inszeniert sie gerade die „Westside Story“.

Theatergruppen sind nicht ganz so selten in NRW-Gefängnissen. Aber nirgendwo werde mit den Gefangenen ein ganz neues Stück entwickelt. Die Häftlinge erzählen auf der Bühne von sich: Cravatzo von seinem schlagenden Vater, David mit dem tätowierten Hakenkreuz auf der Schulter von seiner braunen Vergangenheit. Yasem sagt irgendwann: „Musik ist meine Sprache, mein Zuhause.“

Der Bulgare ist „schuld“, dass es in dem Stück um Musik geht, dass sie singen müssen. „Yasem ist ein herausragender Pianist. Da mussten wir natürlich irgendwas mit Musik machen“, sagt Teilmans. Sein letztes Konzert vor dem Knast war vor 1200 Menschen in Amsterdam. Dann brachte er sieben Kilo Marihuana über die Grenze. „Sieben Jahre Haft. Für jedes Kilo ein Jahr.“ Scham schwingt mit. Sobald er Klavier spielt, ist das weg. Und man staunt, was er dem schlichten Kasten entlockt.

Er begleitet Lieder, für die es keine Noten gibt, interpretiert, füllt aus, unterstreicht, hilft. Tuan etwa, der mit großer Leidenschaft auf Arabisch singt. „Du bist nah dran ein Superstar zu werden“, sagt Bill von der Jury. Auch David, der am Anfang keinen Ton traf, singt.

Auf die positive Veränderung hofft auch Dady, der wegen Drogen einsitzt. Der Kongolese hat erst in Haft Deutsch gelernt — durch schnellen Rap. Nach dem Knast will er wieder als Computertechniker arbeiten, keine krummen Dinger mehr drehen — wegen der Familie.

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