Essay: Der alte Traum vom ewigen Leben

Ostern – Jesus stirbt, ersteht aber wieder auf. Die Menschen träumen seit jeher davon, erst gar nicht sterben zu müssen. Wird es ein Traum bleiben?

Düsseldorf. "Da sprach der Herr: Nicht soll mein Geist im Menschen ewig mächtig sein, da er Fleisch ist. Seine Lebenszeit soll 120 Jahre betragen." Die Aussicht, von der in Genesis Kapitel 6 die Rede ist, ist recht großzügig. Erreichen doch trotz moderner Medizin die wenigsten Menschen dieses "biblische Alter". Den Rekord soll eine Französin mit 122Jahren halten.

Aber stimmt die Sache mit der Seele - wer kann das wissen? Körperliche Unsterblichkeit wäre da schon handfester: Nicht abtreten zu müssen von der Weltbühne, den Traum haben die Menschen schon immer geträumt.

Fitness und Medizin: Anders als die Alchemisten ist der Durchschnittsmensch der Jetztzeit bescheidener: Mit Sport, Gemüse und Vitamintabletten will er das Altern aufhalten. Oder mit Anti-Falten-Creme und Schönheitsoperationen einen entsprechenden Eindruck vermitteln.

Im Tiefkühlfach: Hat es nicht so manch einer auch hier unten geschafft? Da ist das Mammut-Baby, das im sibirischen Eis 10000Jahre lang konserviert wurde, bis ein Rentier-Hirte es fand - Rüssel, Augen, Fellreste: alles erhalten. Oder jener Mann, der es 5300 Jahre nach seinem Tod in den Ötztaler Alpen als "Ötzi" zu Weltberühmtheit brachte.

Der Haken: Diese Kreaturen sind zwar greifbar, sichtbar - aber nun mal tot. Doch vielleicht bringen sie uns der Unsterblichkeit näher. Lässt sich aus dem so konservierten Genmaterial vielleicht eines Tages wieder Leben schaffen? Noch bleiben solche Gedankenspiele die Domäne von Science-Fiction-Autoren. Doch wer weiß, vielleicht schafft es die Wissenschaft irgendwann, aus den gefrorenen Zellen ein Duplikat der Eisleiche herzustellen.

Vom Einfrieren verspricht sich jetzt bereits manch einer, dass er später wieder unter den Lebenden mitmischen wird (siehe Infokasten). Wissenschaftlich seriöser, wenngleich kaum weniger furchterregend sind die Versuche der Gentechniker, durch Klonen das Individuum zu duplizieren und in einer perfekten Kopie weiterleben zu lassen.

Was aber würde passieren, wenn der Mensch sich unsterblich machte? Unser bisheriges Verständnis von "Bevölkerungsexplosion" erschiene läppisch. Minütlich würde es enger auf dem blauen Planeten. Kinder - nein, danke, hieße es schnell. Das Boot ist voll. Es müsste entschieden werden, wer unsterblich sein darf. Wer ist so edel oder unersetzlich? Oder so reich, dass er sich in den erlauchten Kreis einkaufen kann?

Jedoch: Auch diejenigen, die das Privileg ergattern, werden keine rechte Freude daran haben. Simone de Beauvoir hat es in ihrem Roman "Alle Menschen sind sterblich" eindrucksvoll beschrieben: Sieben Jahrhunderte lässt sie ihren Protagonisten dank eines Zaubertranks leben. Das Glück wird zum Fluch, alles verliert am Ende an Bedeutung. Der Philsosoph Martin Heidegger sieht es ähnlich: "Verfügten wir über eine unendlich lange Zeit, so wäre nichts dringlich, nichts wichtig."

Auch biologisch führt Unsterblichkeit in die Sackgasse. Eine Art kann nur überleben, wenn sie sich einer veränderten Umwelt anpasst. Die Begrenzung der Lebensspanne führt zur Aufeinanderfolge von Generationen. Nur so kann es Veränderungen im Erbgut geben. Und Nachkommen, die mit neuen Umweltbedingungen klar kommen. Sterblichkeit ist Bedingung der Evolution. Wir müssen Platz machen für die, die nach uns kommen. Die anders sind als wir.

Lassen wir die große Unsterblichkeit. Da gibt es ja auch noch die kleine Unsterblichkeit: Das Streben, Spuren zu hinterlassen.

Große Taten: Spuren zu hinterlassen, das schafft auch der ganz normale Mensch - indem er Kinder zeugt. Oder der generöse Spender, der mit seinem Vermögen lange nach seinem Tod Gutes bewirken kann. Denken wir nur an Alfred Nobel.

Kunst: Architekten machen sich mit ihren Bauwerken, Schriftsteller mit großen Romanen und Maler mit ihren Bildern unsterblich. Oscar Wilde hat diesen Gedanken kreativ umgedreht, als er in "Das Bildnis des Dorian Gray" den Protagonisten so bleiben lässt wie auf dem in jungen Jahren gemalten Porträt. Stattdessen altert das Porträt, schwer gezeichnet von den Narben des Lebens.

Ewige Töne fürs Universum: Doch diese Töne und auch Mozart und Beethoven werden nur so lange gehört, wie es Menschen gibt. Nur wenige Töne überdauern vielleicht noch länger und machen so ihre Urheber unsterblich - wie das Beatles-Stück "Across the Universe", das die Nasa im Februar in Richtung Polarstern sendete. Die Musik saust jetzt mit 300000 Stundenkilometern durchs All. Wessen Ohren sie einst vernehmen werden - wer weiß?

Schon viel länger unterwegs sind die "Signale der Erde". Eine an der Raumsonde Voyager befestigte Schallplatte mit Bildern, Geräuschen und Musik der Erdlinge. Vielleicht wird sie einmal von Wesen aus dem All gefischt, lange nachdem der letzte Mensch gestorben sein wird.

Hans-Peter Dürr, Physiker

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