Erste Geige bei den Frauen

Früher litt David Garrett am „Burnout-Syndrom“ – jetzt begeistert er ein junges Publikum für Klassik.

Köln. Der schnellste Geiger der Welt kommt eine Dreiviertelstunde zu spät. Doch wenn David Garrett (28) ins Restaurant der Kölner Lanxess-Arena stürmt, mit den Armen dramatisch eine Entschuldigung andeutet und sein Lächeln anknipst, ist aller Unmut schlagartig vergessen.

Erstaunlich viele Vertreterinnen von Zeitschriften, in deren Titel das Wörtchen "Frau" vorkommt, sind bei diesem Pressegespräch anwesend. Normalerweise würde man in diesen regenbogenschillernden Gefilden nur wenig Interesse für Instrumente vermuten, die vor über 250 Jahren von Italienern mit klangvollen Namen gefertigt wurden. Aber kaum packt Garrett die Violine aus dem Koffer, geht das Geraune schon los: "Ist das die Stradivari?" Sie ist es nicht.

Dafür lässt diese Szene zwei Schlüsse zu. Erstens: Bei Garrett ist alles anders. Weil - zweitens: Er ist ein Frauentyp. David Garrett ist groß, blond und lässig. Schulterlanges Haar, tief im Nacken zum Pferdeschwanz gebunden. Der Typ ist smart. Er ist cool. Und das weiß er auch.

Das einstige Wunderkind der Violine hat es 2007 geschafft, sich aus dem rein klassischen Kontext zu lösen. Mit "Virtuoso" machte Garrett vor, wie man Klassik, Rock, Filmmusik, Musical und Eigenkompositionen unter einen Hut bringt. Die massenkompatible Scheibe schoss sofort auf Platz Eins der Klassik-Charts bei Amazon und iTunes.

Der gebürtige Aachener mit Wohnsitz New York wurde zum Liebling bei Presse und Fernsehen. Seit sie ihn den "David Beckham der Violine" nannten, ist seine Stradivari für die Medien ein ähnlich interessantes Accessoire wie die neueste Handtasche von Beckham-Gattin Victoria.

Nun hat der 28-Jährige erfolgreich nachgelegt. Im Oktober erschien sein zweites Album "Encore", was so viel wie "Zugabe" heißt: "Ich finde, das ist für ein Folgealbum ein guter Name." Diese "Zugabe" ist nach dem gleichen Muster gestrickt wie "Virtuoso", "geht aber ein bisschen mehr in die Rockrichtung".

Garrett erzählt bereitwillig von seinem "Burnout-Syndrom" mit 18 ("Das war eher körperlich bedingt. Ich bin zwischen 14 und 17 sehr schnell gewachsen, da kam die Muskulatur nicht nach") und die "große Liebe", die er angeblich verloren haben soll ("Tatsache ist, dass ich ein paar Mal eine Frau in New York gedatet habe, aber es hat nicht funktioniert").

Und ehe der schnellste Geiger der Welt, als der er nach einem fehlerfrei in 66 Sekunden gespielten "Hummelflug" im Guiness-Buch der Rekorde steht, wieder im Sauseschritt weiter düst, weist er noch auf sein wichtigstes Anliegen hinzuweisen: "Mit meiner Musik viele junge Menschen zu erreichen."

Was ihm auch tatsächlich zu gelingen scheint: "Bei meinen Konzerten sind die Leute zwischen 20 und 45." Eine Zielgruppe, bei der andere Klassik-Musiker neidisch werden.

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