Konflikt Erneut Beschuss am AKW Saporischschja - IAEA weiter „schwer besorgt“

Berichte aus Großbritannien und den USA deuten an, dass Russland das Kriegsmaterial ausgeht. Weiter gefährlich bleibt indes die Lage am AKW Saporischschja. Die Internationale Atomenergiebehörde dringt auf Maßnahmen.

Eine Außenansicht des ukrainischen Kernkraftwerkes.

Eine Außenansicht des ukrainischen Kernkraftwerkes.

Foto: dpa/Iaea Imagebank

Die Lage rund um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sorgt weiter für große Unsicherheit. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) forderte nach ihren ersten Untersuchungen vor Ort schnelle Maßnahmen, um einen möglichen Atomunfall zu verhindern. „Die IAEA ist weiterhin schwer besorgt über die Lage“, schrieb ihr Chef Rafael Grossi am Dienstag in seinem Bericht. Die Situation sei „unhaltbar“. Am Dienstag kam es am AKW erneut zu Artilleriebeschuss und zu einem Stromausfall in der nahe gelegenen Stadt Enerhodar. Dem Besatzungsvertreter Wladimir Rogow zufolge soll es sieben Einschläge im Bereich des Kraftwerk-Trainingszentrums gegeben haben.

Es sei dringend notwendig, eine nukleare Sicherheitszone rund um das von russischen Truppen besetzte AKW einzurichten, so Grossi. Alle an dem Konflikt beteiligten Seiten müssten sich darauf einigen, um noch schwerere Schäden durch Kampfhandlungen und den Austritt von Radioaktivität zu verhindern. Ein IAEA-Team unter Grossis Führung war vorige Woche nach monatelangen Verhandlungen und Vorbereitungen zu dem Kraftwerk gereist.

Immer wieder Artilleriebeschuss am AKW Saporischschja

Russlands Verteidigungsministerium warf der Ukraine am Dienstag vor, Saporischschja innerhalb der vergangenen 24 Stunden 15 Mal mit Artillerie beschossen zu haben. Im Gegenzug macht Kiew die russischen Truppen, die das AKW bereits seit Anfang März besetzen, immer wieder für Angriffe auf das Gelände verantwortlich. Die Angaben beider Seiten lassen sich in der Regel nicht unabhängig überprüfen.

Der gehäufte Artilleriebeschuss erhöhte zuletzt international die Sorge vor einer Atomkatastrophe rund um das größte Kernkraftwerk Europas. Am Montag hatte der ukrainische Betreiber Enerhoatom zunächst mitgeteilt, dass es beim sechsten und letzten noch betriebenen Block eine Notabschaltung gegeben habe. Später jedoch übermittelte Kiew an die IAEA die Information, der Strombedarf des Kraftwerks werde nach einer erzwungenen Trennung vom ukrainischen Netz weiter von einem im Betrieb befindlichen Reaktor gedeckt.

Gehen Russland Drohnen und Munition aus?

Der russische Angriffskrieg dauert inzwischen seit 195 Tagen an. In dieser Zeit seien 50 150 russische Soldaten getötet worden, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstag per Facebook mit. Zudem will die ukrainische Armee 2077 Panzer, 4484 gepanzerte Fahrzeuge, 236 Flugzeuge und 207 Hubschrauber abgeschossen haben. Es gibt keine unabhängigen Bestätigungen für diese Angaben.

Das britische Verteidigungsministerium geht von etwa 25 000 getöteten russischen Soldaten aus. Russland selbst hat seit langem keine Angaben mehr zu eigenen Gefallenen gemacht. Auch die Ukraine macht selten Angaben über eigene Verluste, zuletzt sprach Kiew von 9000 getöteten (Stand 22. August) und 7000 vermissten (Stand Juli) ukrainischen Soldaten.

Das britische Verteidigungsministerium geht davon aus, dass Russland bei seiner taktischen Lagebeurteilung und seinen Einsätzen zunehmend eingeschränkt wird, weil es dem russischen Militär an Aufklärungsdrohnen mangele. Das werde verschärft durch die mittels internationaler Sanktionen hervorgerufene Verknappung an Ersatzteilen, teilte das Ministerium mit. In den vergangenen Tagen sei die Zahl der Drohneneinsätze westlich des Flusses Dnipro zurückgegangen. Auch mehrere Abschüsse seien gemeldet worden.

Die „New York Times“ berichtete, dass Russland angesichts von Lieferengpässen Millionen Geschosse von Nordkorea kaufen wolle. Die Zeitung berief sich auf US-Geheimdienstinformationen. Demnach geht es um Artillerie-Munition und Raketen mit kurzer Reichweite.

EU-Kommission prüft Möglichkeiten für Gaspreisdeckel

Die EU-Kommission prüft derzeit Maßnahmen, um den Gaspreis zu deckeln. Es geht dabei zum einen um die Möglichkeit, sich auf einen Höchstbezugspreis für russisches Gas zu verständigen, wie aus einem internen Papier hervorgeht, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Eine andere Option ist demnach, den Preis an europäischen Handelsplätzen unter bestimmten Voraussetzungen zu deckeln. Vor allem mit der zweiten Option könnten als Notmaßnahme weitere Preissteigerungen verhindert werden. Die erste könnte vor allem dazu führen, die Einnahmen Russlands durch Energiegeschäfte zu begrenzen.

Nach einem deutlichen Anstieg zu Wochenbeginn fiel der Preis für europäisches Erdgas wieder spürbar. Am frühen Nachmittag kostete der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas etwa 220 Euro je Megawattstunde. Das waren rund zehn Prozent oder 25 Euro weniger als am Vortag. Der TTF-Kontrakt gilt als Richtschnur für das europäische Preisniveau am Erdgasmarkt.

Crea: Russland verdient mit fossiler Energie weiter Milliarden

Nach Angaben der in Finnland ansässigen Forschungsorganisation Centre for Research on Energie and Clean Air (Crea) hat Russland in den ersten sechs Monaten seit Kriegsbeginn 158 Milliarden Euro mit dem Export von Öl, Gas und Kohle erwirtschaftet. Das ist demnach mehr, als Russland schätzungsweise für den Krieg ausgibt - Crea geht von bisher etwa 100 Milliarden Euro an Kriegskosten aus. Der Export fossiler Brennstoffe habe mit etwa 43 Milliarden Euro zum russischen Staatshaushalt beigetragen und somit geholfen, Kriegsverbrechen in der Ukraine zu finanzieren.

Die EU habe ihre fossilen Einfuhren aus Russland in den vergangenen sechs Monaten deutlich verringert, hieß es. Dennoch importierte sie demnach russische Energie mit einem Wert von schätzungsweise 85 Milliarden Euro. Hauptabnehmer unter den EU-Staaten blieb den Angaben zufolge Deutschland (19 Milliarden Euro).

(dpa)
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