Erleiden wir den „Kulturinfarkt“?

München (dpa) - Mit ihrem Buch „Der Kulturinfarkt“, das erst am 20. März erscheint, haben die Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz bereits jetzt für einen Aufschrei in der deutschen Kulturlandschaft gesorgt.

Die Kernthese aber dürfte inzwischen in jedem Theaterhaus und jeder Bibliothek in Deutschland bekannt sein: Rund die Hälfte der Kultureinrichtungen halten sie für verzichtbar - zur Rettung der deutschen Kunst.

Das Buch ist ein Rundumschlag auf 280 Seiten gegen die kulturpolitische Lage in Deutschland. „Ja, wir holen zur Kritik aus.“ Und die sieht zusammengefasst so aus: Der Kulturbetrieb ist zu teuer, zu kleinteilig, zu einseitig, zu weltfremd - und undemokratisch. Es gehe nur noch um den Selbsterhalt eines selbstverliebten Systems. Die vernichtende Diagnose: „Deutschlands Kulturbetrieb steht vor dem Infarkt. Von allem gibt es zuviel und nahezu überall das Gleiche.“

Neun Milliarden Euro im Jahr gibt die öffentlichen Hand für rund 5000 Museen, mehr als 140 Staats- und Stadttheater, 8500 öffentliche Bibliotheken und 1000 Musik- und Volkshochschulen aus, schreiben die Autoren und: „Das System steht vor dem finanziellen Zusammenbruch.“ Schon in diesem Jahr hätten die deutschen Museen praktisch kein Geld mehr für Neueinkäufe.

Doch die Kosten seien noch nicht einmal das größte Problem. Staatliche Finanzierung sei vor allem das größte Hindernis für Innovationen. Mit Steuermitteln, so die Ansicht der Autoren, habe Deutschland das Ende zukunftsorientierter Kunst- und Kulturpolitik herbeigeführt. Es gehe nur noch um das Bewahren einer längst überholten, unflexiblen und unmodernen Struktur.

Ein Kapitel, das sich mit der Ausrichtung der deutschen Kulturlandschaft befasst, heißt: „Gefangen in der selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Die Autoren beklagen die didaktische Ausrichtung deutschen Kulturschaffens, eine Orientierung an Friedrich Schillers vielbeschworener „ästhetischer Erziehung“. „Wie schade, dass das Konzept aus der Zeit der aufgeklärten Aristokratie stammt, vordemokratisch ist“, schreiben sie.

In der Kulturpolitik, die heute im Übrigen keine andere Forderung mehr kenne als „mehr Geld“, gehe es um Macht. „Das öffentliche Kunstsystem fordert gnadenlose Anpassung. Andernfalls grenzt es gnadenlos aus.“ Die Politik wolle „Leuchtturmprojekte“ wie die Hamburger Elbphilharmonie als Zeugnis „sozialer Führerschaft“. In der Buchankündigung schreibt der Verlag vom „Fetisch Kulturstaat“.

Als Ausweg aus dem Dilemma der Kulturpolitik sehen die Autoren nur einen Ausweg: drastische Einschnitte. Durch die pure Größe sei der Kulturapparat nahezu bewegungsunfähig geworden. Freigewordene Mittel könnten dann in innovative Projekte gesteckt werden.

Dazu müsse jetzt das Mantra „Kultur für alle“ fallen. Die Zauberformel laute: mehr Individualität, mehr Laienkultur, mehr Subsidiarität und „Kulturindustrie“ - weniger System. „Wer den Kulturbetrieb und Kulturpolitik kritisiert, ist nicht der Feind der Kunst“, betonten die Autoren. „Im Gegenteil: Uns liegt daran, sie zu befreien - von den vermeintlichen Schützern, die sie umarmen bis zur Erstickung.“

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