Ein unmoralisches Angebot: Dauer-Sex zum Flatrate-Tarif

Der Geiz hat auch das horizontale Gewerbe erfasst. Das führt zu Ausbeutung und Missachtung der Menschenwürde, sagen Frauenrechtlerinnen und Politiker.

Wuppertal. Mit Sex zum Pauschaltarif macht eine Bordell-Kette ihr Geschäft. Nach Flatrate-Telefonieren, Flatrate-Trinken nun also auch das Flatrate-Fummeln. Doch das neue Geschäftsmodell für das älteste Gewerbe der Welt ist unter Druck geraten. Frauenrechtsorganisationen, Anwohner und auch Politiker fordern die Schließung dieser Bordelle.

Nun haben auch Justiz und Polizei diese Etablissements ins Visier genommen. Am Sonntag durchsuchten 700 Beamte vier solcher Einrichtungen in Wuppertal, Fellbach bei Stuttgart, Heidelberg und Berlin - nicht wegen eines unmoralischen Angebots, sondern wegen des Verdachts, dass die Betreiber Beiträge zur Sozialversicherung sowie Steuern hinterzogen haben und ohne Genehmigung ausländische Prostituierte schwarz beschäftigen. Es soll um hunderttausende Euro an Beiträgen gehen. "In einem Fall gibt es einen konkreten Hinweis auf Zwangsprostitution", so die Polizei.

Patricia F. (26), die Chefin der vier Sex-Häuser, und ihr 25-jähriger Kompagnon wurden verhaftet. Zudem wurden in Fellbach zehn weitere Männer festgenommen. Die Polizei erhofft sich Hinweise auf Hintermänner: "Wir können uns nicht vorstellen, dass die beiden vier Bordelle alleine betreiben", so Polizeisprecher Klaus Hinderer in der "Stuttgarter Zeitung".

Die Fellbacher Einrichtung sowie das Haus in Heidelberg wurden wegen mangelnder Hygiene geschlossen - Massagebänke waren verdreckt, dem Whirlpool "fehlt es wohl an Chlor" und die Lebensmittel "wurden unter unzulässigen Bedingungen gelagert". Der Wuppertaler Club bleibt weiter geöffnet. Die Stadtverwaltung hatte bislang trotz massiver Anwohnerproteste "definitiv nichts zu beanstanden". Auch der Betrieb in Berlin geht weiter.

In den Flatrate-Freudenhäusern zahlen Freier einen festen Preis von 70 bis 100 Euro und können dafür angeblich uneingeschränkt die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, Essen und Trinken inklusive. So lautet zumindest die aggressive Werbung der rumänischen Geschäftsführerin. "Der Mann überschätzt sich gerne", sagt die 26-Jährige, "die Masse macht’s. Mehr als zwei Mal schafft kaum einer." Und für die Flatrate gebe es aber nur das billigste Bier.

Laut Arbeitsvertrag dürften die Frauen entscheiden, mit wem sie Kontakt haben, und selbst bestimmen, welche Dienstleistungen sie anbieten. "Dies steht aber im Widerspruch zur Werbung im Internet", sagt ein Polizeisprecher. Dort wird den Freiern ein "Alles-Inklusive"-Angebot mit "Tiefpreis-Garantie" versprochen.

"Für uns zählt nicht der Arbeitsvertrag, sondern die Wirklichkeit", sagt der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Andreas Thul-Epperlein. Er erwartet keine großen Schwierigkeiten, den Betreibern Schwarzarbeit nachweisen zu können. Auf legale Weise ließe sich das Preisniveau seiner Ansicht nach nicht halten.

Die katholische Ordensschwester Lea Ackermann, die sich mit ihrem Verein "Solwodi" gegen Sextourismus und Menschenhandel einsetzt, ist sicher, dass das neue Gesetz zur Prostitution für viele Übel verantwortlich ist, weil damit Bordellbetreiber und Zuhälter besser gestellt seien und Frauen erniedrigt würden. In vielen "Wellness- und FKK-Clubs" lasse sich etwa die freiwillige von der erzwungenen Prostitution kaum noch unterscheiden.

"Die Frauen unterliegen einer nahezu lückenlosen Kontrolle durch ein ausgeklügeltes System aus Videokameras und Security-Personal. Die Sexualpraktiken sind vorgeschrieben, Freier können nicht abgelehnt werden." Nach Angaben der Ordensfrau suchen sich die Täter immer häufiger Roma-Frauen aus, die aus Rumänien oder Bulgarien stammten.

Bordellchefin Patricia wiegelt ab: "Bei mir arbeiten viele Rumäninnen als Subunternehmerinnen auf Basis einer Tagespauschale. Keine wird gezwungen, etwas zu tun. Sehr viele sprechen nicht deutsch. Von Zuhältern ist mir nichts bekannt." Der Lohn der Frauen hänge von dem ab, was sie bereit seien zu tun, und schwanke zwischen 100 und etwa 200 Euro.

Inzwischen setzen sich Prostituierte gegen ein "öffentliches Kesseltreiben" zur Wehr. Es werde "mit Unwissen und Vorurteilen über unsere Köpfe hinweg öffentlich gegen uns Stimmung gemacht", heißt es in einer Anzeige in überregionalen Tageszeitungen, für die ein Verein namens "Doña Carmen" in Frankfurt verantwortlich zeichnet. Juanita Rosina Henning ist Mitbegründerin des Vereins, der sich als Prostituiertenselbsthilfeorganisation versteht und vorgibt, für die Anliegen von Prostituierten einzutreten.

"Es wird behauptet, dass die Frauen für alles zur Verfügung stehen müssen und nicht frei wählen dürfen", sagt sie dem "Stern" in einem Interview. "Aber die Leute, die so etwas behaupten, haben sich anscheinend nicht genügend über die Arbeitsbedingungen dort informiert. Da wird völlig unsachlich diskutiert."

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) sieht das anders: "Mit den sogenannten Flatrate-Bordellen ist eine neue Qualität erreicht, es herrscht dringender Handlungsbedarf. Ich halte das für nicht hinnehmbar."

Auch sein für die Justiz zuständiger Kabinettskollege Ulrich Goll (FDP) kritisiert die Flatrate-Bordelle scharf: "Wenn man deren Werbung ernst nimmt, ist von einem Verstoß gegen die Menschenwürde der dort arbeitenden Prostituierten auszugehen."

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