Ein leiser Chef-Lobbyist für Brüssel

Als Interessenvertreter der deutschen Industrie wurde Jürgen Thumann oft sein „Schmusekurs“ mit der Politik vorgeworfen. Nun soll diese Taktik auf EU-Ebene zum Erfolg führen.

Düsseldorf. "Westfälische Sturheit." Das ist Jürgen Thumanns Lieblingsantwort, wenn er nach seiner stärksten Charaktereigenschaft gefragt wird. Während seiner vier Jahre als Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) legten Beobachter dem gebürtigen Schwelmer diesen Charakterzug oft als Schwäche aus. Zu leise sei er, im Umgang mit der Regierung zu sehr auf Kuschelkurs, FDP-Vize Rainer Brüderle beschimpfte ihn gar als "Hofschranze". So nennt man Angehörige eines Hofstaats, die ihrem Herrn oft schmeicheln.

Ab Mittwoch ist Jürgen Thumann einer der wichtigsten Lobbyisten Europas. Als Präsident des Dachverbands "Businesseurope" vertritt der 67-Jährige dann bei der Europäischen Union die Interessen von 40 Unternehmerverbänden aus 34 Ländern, darunter der BDI. Gut möglich, dass sein defensives, durchdachtes Vorgehen in Brüssel tatsächlich zur Stärke wird.

Wer im EU-Apparat alles und am besten sofort haben will, beißt sich an der Bürokratie schnell die Zähne aus. Diese Erfahrung hat schon so mancher Heißsporn gemacht.

Bei seiner Vorstellung in Brüssel deutete Thumann an, dass er nicht vorhat, seinen Stil zu ändern. Er werde sich für einen "intensiven Dialog mit den EU-Politikern" einsetzen, sagte er. Dieses Vorgehen ist seiner Erfahrung als Mittelständler geschuldet. Einem Unternehmen, davon ist der Wahl-Sauerländer überzeugt, schaden "Aufgeregtheiten".

Der 67-Jährige, heute Vorsitzender des Gesellschafter-Ausschusses der an der Düsseldorfer Königsallee residierenden Heitkamp & Thumann-Gruppe, ist ein Unternehmer alter Schule. Nach dem überraschenden Tod seines Vaters 1960 übernahm er mit 19 Jahren den Familienbetrieb in Schwelm, eine Firma für Metallverarbeitung.

Seine Mutter hatte den nach damaligem Recht Minderjährigen erst für mündig erklären müssen. Thumann, lediglich mit einer Kaufmannslehre ausgestattet, hatte Erfolg und steigerte den Umsatz in 30 Jahren von 40 Millionen auf 300 Millionen D-Mark. 1992 verkaufte er die Firma.

Parallel dazu war er in das Unternehmen seines Schwiegervaters, die Hille & Müller-Gruppe in Düsseldorf, eingestiegen. Auch das Kaltwalzwerk baute er ab 1975 als Chef der Geschäftsführung aus, um die Firma 1997 ebenfalls zu verkaufen.

Fortan konzentrierte sich Thumann auf sein Engagement in verschiedenen Unternehmer-Verbänden. Auf Vorschlag des damaligen BDI-Präsidenten Michael Rogowski stieg er Ende 2004 an die Spitze des einflussreichen Unternehmer-Verbandes auf. Seine zweite Amtszeit, begleitet von wachsender Kritik, lief Ende 2008 aus.

Nicht nur sein Stil wurde Thumann vorgeworfen. Ihm misslang zunächst die Suche nach einem Nachfolger des BDI-Hauptgeschäftsführers Ludolf von Wartenberg. Zudem gab es mehrfach Debatten über eine letztlich gescheiterte Fusion mit dem Arbeitgeberverband BDA.

Der scheidende "Business-europe"-Chef Ernest-Antoine Seillière lobt Thumann als erfahrenen Unternehmer. "Wenn er etwas sagt, ist das eindeutig und kann auch weh tun", sagte der Franzose. Gut möglich, dass das Lob auch einen Tipp für seinen Nachfolger transportieren sollte.

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