Karneval Ein kleines Helau in der verbotenen Stadt

Silvester-Debatten, Terrorangst und Sturm — die wohl schlechtesten Vorzeichen für eine gebürtige Düsseldorferin, zum allerersten Mal Karneval in Köln zu feiern. Unsere Autorin hat es trotzdem probiert. Lässt man sie mitfeiern?

In Köln heißt es — Wieverfastelovend.

In Köln heißt es — Wieverfastelovend.

Foto: Oliver Berg

Köln. Eine Frauengruppe mit bunten Riesenzylindern hastet den Bahnsteig des Deutzer Bahnhofs entlang. Die eine schimpft: „Das ist doch Mist! Da trinkste anderthalb Flaschen Bier — und schon musste pinkeln!“ Die anderen lachen. Das klingt vertraut. Die Probleme von Frauen im Straßenkarneval, sie sind augenscheinlich überall die gleichen. Fast könnte man sich zu Hause fühlen. Aber das hier ist nicht zu Hause. Zu Hause ist Düsseldorf. Von Geburt an. Das hier ist Kölle. Angebliches Epi-Zentrum des deutschen Straßenkarnevals. Und es ist ein Selbstversuch: Zum ersten Mal als waschechte Landeshauptstädterin Altweiber feiern in der „verbotenen Stadt“. Kann das gutgehen?

Die Vorzeichen könnten miserabler nicht sein. Zwei skandalöse Silvesternächte hat die Domstadt in den Knochen, Anschlagsangst sowieso. Orkantief Thomas rückt näher und näher. Und dann passen auch noch die Vokabeln nicht: Das heiße in Köln nicht Altweiber, hat eine Bekannte auf die Ankündigung des Düsseldorferin-in-Kölle-Experiments per SMS gekrittelt, sondern gefälligst Wieverfastelovend. Na, das fängt ja gut an.

Der Unterschied zwischen Düsseldorfer und Kölner Altweiber — oder wie auch immer — ist rasch deutlich. Und er schmerzt. Bei der Abfahrt zu Hause waren fünf Häuserblöcke von der Altstadt entfernt gerade einmal zwei Minnie-Mäuse zu sehen. Alle anderen Menschen in Zivil und wohl auf dem Weg zur Arbeit. In Köln hingegen wird offensichtlich nicht gearbeitet an diesem Tag. Schon rund um die Messe wirkt der Anzugträger verkleidet zwischen Froschkönigen, Schottenröcken und immer wieder Einhörnern. Im Hauptbahnhof spucken Regionalexpresse kostümiertes Volk aus dem Umland in Massen auf die Bahnsteige und in die Vorhalle, in der schon eine Kapelle „Schenk mir heut’ Nacht dein ganzes Herz“ spielt. Der Platz an der Rückseite des Bahnhofs ist gepflastert mit Polizei-Bullys. 2200 Beamte sollen am heute im Einsatz sein. Es ist einfach alles eine Nummer größer hier. Selbst die Vorsicht.

Um den Dom herum pfeifen die windigen Vorboten des Sturmtiefs ganz schön. Aber in den Gassen rund um die Früh-Kölsch-Brauerei kümmert das keinen. Ein aschfahles Milchgesicht mit Trump-Kostüm torkelt zwischen den Hauswänden herum, muss sich abstützen — sein flüssiges Frühstück dürfte alsbald wieder das Tageslicht erblicken. Um die Ecke sieht es aus, als hätte ein Schulbus Ladung verloren. Ein junger Seemann mit aufgeplatzter Lippe kötert eine männliche Biene an: „Pass auf, du!“ Sechs Mann von der Hundertschaft kommen vorbei, aber sie schieben schon zwei US-Soldaten und ein Känguru vor sich her, die wohl anderswo Stress gemacht haben. Eine Gruppe junger Männer — bis auf einen Ganzkörper-Elch unverkleidet — klebt ihnen pöbelnd auf den Fersen, wird weggeschoben, klebt noch beharrlicher. Kurz darauf sind 15 Beamte vor Ort. Es ist gerade mal 11.30 Uhr.

Dass auch die unangenehmen Seiten der Feierei in Köln größer ausfallen beruhigt gemeinerweise so sehr, wie beunruhigt, dass jedes Lied von den Straßen-DJs und aus den offenen Kneipentüren bekannt ist. Es mag dem Düsseldorfer an sich befremdlich, sogar irgendwie sektenhaft anmuten, wenn selbst im Müngersdorfer Stadion und mitten im Hochsommer, weit außerhalb der Session, bei FC-Spielen kollektiv „Viva Colonia“ geschmettert wird. Aber ein bisschen neidisch ist er ja doch, dass er mit den Toten Hosen wohl den populäreren Musikexport hat, aber eben kein eigenes Genre wie den Kölsch-Rock. Und die Hosen-Hymne zu Fortuna Düsseldorfs Aufstieg in die erste Liga (ja, liebe Kölner, wir wissen, dass es damit lange vorbei ist) „Tage wie diese“ ist bis auf einen kleinen Verweis auf die Rheinterrasse ja gefällig in jedem anderen deutschen Fußballstadion schmetterbar.

Überraschenderweise kommt man am Mittag auf dem Heumarkt immer noch problemlos durch. An einem Bierstand stehen drei weibliche Pandas und prosten sich zu. Die Kontaktaufnahme für die Düsseldorferin auf Abwegen ist problemlos — wohl auch weil die drei aus Stuttgart sind. „Wir sind jedes Jahr hier und das Wetter war immer schlecht — aber es war sonst immer voll“, sagt Ina. „Ich würde sagen: Der Terror ist angekommen.“ Für die Freundinnen war fernbleiben aber keine Option. „Es kann nicht Sinn der Übung sein, zu Hause zu sitzen“, findet Diana. Und hoch die Plastikbecher. In den inzwischen einsetzenden Sprühregen.

Perfekte Kulisse für den endgültigen Sprung ins kalte Wasser: eine Gruppe ansprechen, die von Kopf bis Fuß in Rot-Weiß und Köln-Wappen gewandet ist. „Hallo, ich bin Düsseldorferin, kann ich bei euch mitfeiern?“ Petra Melcher-Müller reißt die Hände unter ihrer Plastikplane hoch: „Wir sind aus Fulda — bei uns biste richtig. Wir rufen auch Helau!“ Immerhin ist sie FC-Mitglied, was das Outfit erklärt. Und das von Helmut Müller: „Ich bin Bayern-Fan — aber ich musste das anziehen, sonst hätte mein Harem mich nicht mitgenommen.“ Mit drei Damen ist er unterwegs. Die Stimmung sei trotzdem nicht so gut wie sonst, finden alle. Ob es aber an der Musik liegt, der Terrorangst oder an ihrem zunehmenden Alter, vermögen sie nicht zu sagen. Das Experiment „Mitfeiern in Kölle“ scheint zu gelingen — auch weil so viele hier gar nicht aus Kölle sind.

Die drei Froschkönige auf dem Weg zum Alter Markt allerdings schon. „Kontrollfrage“, lallt der eine, „was passiert, wenn dat Trömmelche jeht?“ „Dann stonn mer all parat ...?“ „Jaaaaa, richtig. Kannst mitfeiern!“ Es geht hinter den Absperrzaun in den Bereich des Traditionskorps’ Altstädter Köln 1922 — auch dort sind die Reihen noch Stunden nach dem Rathaussturm lichter als sonst. Korpsmitglied Christian Naumann beteuert: „Wir sind weltoffen — bei uns feiert jeder mit.“ Zum Beweis dreht er sich einem rot-grünen Kollegen zu: „Ey, sie ist aus Düsseldorf. Darf sie mit uns feiern?“ Schwupps, liegt ein Arm und die Schultern. „Na klar, da simmer nicht so!“ Ob es ein Kölsch sein dürfe? Aber nein, das geht dann doch zu weit. Vielleicht würde beim nächsten Besuch in der Düsseldorfer Altbier-Brauerei ein scharlachrotes „K“ auf der Stirn zu brennen beginnen. Und außerdem hatte die Dame am Morgen in Deutz Recht: Davon muss man eh nur pinkeln. Trotzdem: Köln ist schon ganz großer Karneval — wenn auch heute nicht so groß wie sonst.

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