Die singende Nonne aus Nepal

Ani Choying Drolma tritt auf der ganzen Welt auf. Mit den Einnahmen baut sie eine Schule und ein Krankenhaus.

Düsseldorf. Ani Choying Drolma kommt zu spät. Ein paar Minuten nur, aber zu spät. "Pünktlichkeit muss ich noch lernen", sagt die 38-Jährige, als sie in die Lobby des Steigenberger Hotels in Düsseldorf schwebt. "Bei uns läuft alles etwas spontaner ab."

Dabei lächelt sie, wie sie das meist tut. Ihre Stimme ist sanft, leise, zugleich bestimmt, verbindlich, einnehmend. "Ich habe so viel Glück. Ich muss in meinem vorherigen Leben viel Gutes getan haben", sagt die buddhistische Nonne.

Sie ist auf Tournee, mal wieder. Mit ihren traditionellen Gesängen schaffte sie es schon in die US-Charts, auch in Deutschland hat sie Fans. In Düsseldorf stellte sie ihre Autobiografie vor: "Ich singe für die Freiheit". Das tut sie tatsächlich - für ihre eigene und für die anderer Mädchen und Frauen. Warum die Leute ihre Musik mögen? "Weil sie eine positive Lebenseinstellung vermittelt", sagt Ani Choying.

Bei ihren Konzerten kündigt sie gern "die Top Ten-Buddha-Songs in 45 Minuten" an. Doch das Singen selbst ist für sie eine Form des Gebets. Bei den meditativen Klängen wirkt sie in sich versunken, ruhig, beseelt: "Ich singe, weil ich das liebe. Das ist kein Job für mich."

Nervosität ist ihr fremd. "Es macht doch keinen Unterschied, ob ich im Kloster meine Lieder darbiete oder vor tausenden von Leuten. Der Gesang ist der gleiche." Auch als Star fühlt sie sich nicht. "Ich bin kein anderer Mensch, nur weil mich plötzlich viele Leute kennen", sagt sie.

Aber klar, sie schätze die Aufmerksamkeit, die sie erfährt. Ihre Einnahmen gibt sie an andere weiter. Derzeit sammelt sie für ein Krankenhaus, außerdem hat sie nahe Kathmandu eine Schule für rund 100 Mädchen und junge Frauen aus armen Familien gebaut. "Meine Stimme ist mein Werkzeug", sagt sie.

Als Kind tibetischer Flüchtlinge wird sie in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, geboren. Ihr Vater schlägt sie. Ihre Mutter schaut hilflos zu. "Ich wollte nicht so ein Leben wie meine Mutter führen: verheiratet werden mit einem älteren Mann, Kinder zur Welt bringen, misshandelt werden", sagt Ani Choying. Einziger Ausweg für sie ist der Gang in ein buddhistisches Kloster.

Sie ist erst zehn Jahre alt, als sie sich auf eigene Faust im Kloster Nogi Gampa vorstellt. Sie wird aufgenommen, darf aber erst drei Jahre später bleiben - ihr Vater braucht sie im Haushalt. Und ohne dessen Zustimmung läuft nichts.

"Das Kloster war der einzige Ort, an dem ich für mich allein sein konnte", sagt sie. Mit der Zeit heilen die Wunden ihrer Kindheit. Und vermutlich wäre sie eine ganz normale Nonne in einem ganz normalen Kloster geblieben, hätte nicht im Jahr 1997 der amerikanische Musiker Steve Tibbetts das Kloster besucht und Ani Choying singen hören.

"Ich konnte nicht verstehen, warum er so begeistert von meiner Stimme war", sagt sie. Doch sie erlaubt ihm, ihren Gesang mit Musik zu unterlegen. Das Ergebnis irritiert sie: "Es war, als hätte jemand über Nacht mein Haus in einer anderen Farbe angemalt." Tibbetts nimmt eine CD auf. Die verkauft sich gut, Konzerte folgen.

Zum ersten Mal kommt sie aus Nepal heraus. "Als ich in Singapur die Kleider auf den Wäscheleinen sah, dachte ich, da hängen Fahnen. Bei uns gibt es solche Leinen nicht", erinnert sie sich. Und lacht wieder: "Oder das Erlebnis Autowaschanlage - unglaublich." Nach zehn Jahren Weltreise entdeckt sie nun nur noch selten Neues, "irgendwie langweilig", sagt sie.

Wenn sie zu Hause ist in ihrer Wohnung in Kathmandu, etwa sechs Monate im Jahr, trifft sie sich mit Freunden, geht ins Kino, hört Musik aus Bollywood-Filmen oder CDs von Tracy Chapman und Norah Jones. Und sie backt Brot in dem Backautomaten, den sie aus Deutschland mitgebracht hat: "Das ist ein tolles Teil."

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