Die Mauer, ein Brecht-Boykott und Grass-Appelle

Berlin (dpa) - Der Mauerbau am 13. August 1961 in Berlin alarmierte auch die Schriftsteller auf beiden Seiten der neubefestigten Grenze. Im Westen richteten Autoren wie Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser und Carl Zuckmayer einen dringenden Hilferuf an die Vereinten Nationen.

Der Philosoph Ernst Bloch kehrte nicht mehr auf seinen Leipziger Lehrstuhl zurück. Ostdeutsche Autoren wie Stephan Hermlin („Von welchem Unrecht sprechen Sie?“) und Erwin Strittmatter begrüßten die Maßnahmen ihrer Regierung. Franz Fühmann sprach von „sozialistischen Panzern“ am Brandenburger Tor und am Potsdamer Platz, „und es ist gut, daß sie da stehen, denn es ist notwendig“.

Der Traum vieler Autoren und Künstler in der DDR von mehr Freiheit im Schatten der Mauer sollte sich allerdings bald als trügerische Hoffnung erweisen.

Auch unter den westdeutschen Autoren und Intellektuellen gab es unterschiedliche Auffassungen. Nicht alle unterstützten einen Protestbrief von Wolfdietrich Schnurre („Als Vaters Bart noch rot war“) und Günter Grass, der erst zwei Jahre zuvor mit seiner „Blechtrommel“ bekanntgeworden war und der am Ende des Jahrhunderts den Literaturnobelpreis erhalten sollte.

Sie wandten sich an den DDR-Schriftstellerverband mit Anna Seghers („Das siebte Kreuz“) an der Spitze. Sie solle ihre Stimme erheben „gegen die Panzer, gegen den gleichen, immer wieder in Deutschland hergestellten Stacheldraht ..., der einst den Konzentrationslagern Stacheldrahtsicherheit gab“.

Der Publizist und später erfolgreiche Verleger Wolf Jobst Siedler („Wir waren noch einmal davongekommen“) schrieb damals, wie der im Wagenbach-Verlag erschienene Band „Deutsche Schriftsteller und ihr Staat von 1945 bis heute“ (1979) zitierte: „Alle Welt wusste das schon lange, nur die heimatlose deutsche Linke nicht. Niemand hat sich Illusionen darüber gemacht, daß die Strittmatter, Hacks, Bredel, Hermlin, Heym und Kuba der kollektiven Weisheit der Partei auch in die verzweifeltste, in die extremste Entscheidung folgen werden - niemand außer den allzeit gesprächsbereiten Romanschriftstellern und Lyrikern.“

Gegen Kritiker aus den eigenen Reihen gab der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll aber auch zu bedenken, dass „die Menschen, die in der Zone bleiben müssen“ (wie die DDR früher im Westen auch genannt wurde) es seien, „die den verlorenen Krieg für uns, die Bundesrepublikaner, mit zu bezahlen haben“. Und auch in Westdeutschland habe es Leute gegeben, „die Verständnis zeigten für den Mauerbau“.

Ein „gesprächsbereiter Schriftsteller“ wie Grass geriet aber auch auf der östlichen Seite ins Fadenkreuz. So wurde bereits am 18. August 1961, fünf Tage nach dem Mauerbau, ein „Suchzettel“ der Stasi ausgestellt - „Grass, Günter, geb. 1927, Beruf: Schriftsteller, Wohnadresse: Berlin-Grunewald, Hinweis zur Person: angefallen wegen Provokation“.

Auch wenn er bei seinen späteren Einreisen in die DDR auf höchste Weisung nie festgenommen wurde, blieb Grass bis zum Mauerfall im Visier der Stasi, wie seine 2010 im Ch. Links Verlag veröffentlichte Stasi-Akte minutiös belegt. Ein Stasi-Oberleutnant zitiert 1964 einen IM, wonach Grass darüber berichtet habe, „daß er gegenwärtig an einem Roman arbeitet, der sich mit den Problemen Brecht und der 17. Juni 1953 befasse“. Grass galt bald auf beiden Seiten für manche als Störenfried.

In jenem einschneidenden Jahr 1961 legte Grass seine Erzählung „Katz und Maus“ als zweiten Band seiner Danziger Trilogie vor. Der aus der DDR in den Westen gegangene Uwe Johnson („Dichter der beiden Deutschland“) veröffentlichte „Das dritte Buch über Achim“. Postum kamen von dem 1984 gestorbenen Autor erst kürzlich seine Gespräche mit West-Berliner Fluchthelfern heraus.

Von Christa Wolf erschien die „Moskauer Novelle“ und 1963 „Der geteilte Himmel“. Heiner Müller brachte 1961 sein gleich danach verbotenes Theaterstück „Die Umsiedlerin“ in Ost-Berlin auf die Bühne. Wolf wurde nach dem Fall der Mauer von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt, als ihre zeitweiligen Stasikontakte in frühen Jahren bekanntwurden.

Nach dem Mauerbau von 1961 gab es wie schon zuvor nach den Volksaufständen am 17. Juni 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn an verschiedenen westdeutschen Theatern einen Boykott von Stücken des Dramatikers Bertolt Brecht (gestorben 1956). Der war nach dem Krieg aus dem Exil in die DDR gegangen und hatte das von ihm zusammen mit Helene Weigel gegründete Berliner Ensemble weltberühmt gemacht.

In Baden-Baden wurden Proben zu Brechts „Mutter Courage“ abgebrochen. Der damalige Sender Freies Berlin (SFB) klinkte sich aus einer ARD-Sendung von Brechts „Galilei“ aus. Und der Intendant des West-Berliner Schillertheaters, Boleslaw Barlog, sagte eine geplante „Puntila“-Aufführung ab mit den Worten: „So wenige Kilometer von der Mauer geht das einfach nicht.“ Er befürchtete auch Störungen durch aufgebrachte West-Berliner Zuschauer.

Kurt Hübner in Ulm dagegen hielt trotz Bombendrohungen an Brechts Stück „Der Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431“ (Nach einem Hörspiel von Anna Seghers) fest, in der Regie des Brecht-Assistenten Peter Palitzsch vom Berliner Ensemble, der danach allerdings im Westen blieb. Hübner, der später in Bremen Furore machte und die Freie Volksbühne in West-Berlin leiten sollte, meinte damals: „Brecht als Dichter und Politiker belehrt in diesem Stück nicht nur sich selber, sondern er belehrt auch die Machthaber der Zone.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort