Die Bluttat, die Mär und die Rechten

Es ist die Geschichte des 19-jährigen Kevin, der in Stolberg erstochen wurde. Es ist auch die Geschichte von der rechtsextremen NPD, die den Tod des Jungen für sich als Märtyrer-Geschichte instrumentalisiert. Und es ist die Geschichte der kleinen Stadt Stolberg, die plötzlich von der rechten Szene überrollt wird. Bürgermeister Ferdi Gatzweiler (SPD) redet nicht lange um den heißen Brei: "Das ist eine Katastrophe."

Stolberg. Genau genommen gibt es mehrere Katastrophen: Eine davon spielt sich fast unbemerkt bei den Eltern des Jungen ab, die vor rund einer Woche ihren Sohn durch eine Bluttat verloren haben. Laut Staatsanwaltschaft war er mit seiner Clique in Stolberg unterwegs. Die jungen Leute trafen auf eine andere Clique, mit der es schon mal Zoff gegeben hatte. Jemand soll im Internet etwas über die Freundin eines anderen geschrieben haben. Der Streit war eigentlich beigelegt, trotzdem gab es diesen gewissen Funken. Der reichte. Ein 18-Jähriger mit - wie man so sagt - Migrationshintergrund zog ein Messer und erstach Kevin. "Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass die Tat politisch motiviert ist", sagt Oberstaatsanwalt Robert Deller seit Tagen fast schon gebetsmühlenartig.

In der rechten Szene verbreitet sich die Nachricht vom "ermordeten Kameraden" blitzschnell übers Internet. Wie das geschehen konnte, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Eine der am häufigsten gehörten Erklärungen: In der Clique des Opfers soll ein Junge gewesen sein, der vorher bei einer NPD-Versammlung in Stolberg gewesen war.

Schon einen Tag nach der Bluttat gibt es einen "Trauermarsch" der rechten Szene. Eine Woche später der Aufmarsch von 800 Rechten aus dem ganzen Bundesgebiet, 1500 Polizisten und 300 Linke, die ebenfalls demonstrieren. Die Straßen der Innenstadt sind ansonsten leer, die Stolberger bleiben in Sicherheit. Viele Menschen haben Angst. Nächste Woche droht der Kleinstadt nun eine Neuauflage: Die rechtsextreme NPD ruft für den 26. April zur Demonstration. Am Tag zuvor soll es unter dem Motto "Stolberg steht zusammen" eine Gegen-Kundgebung geben.

Inzwischen haben die Eltern ihren Sohn beerdigt, heimlich. Kaum jemand wusste von dem Termin. "Wir haben das mit den Eltern so vereinbart, damit es keinen Auflauf von Rechtsextremisten gibt", sagt Rudi Bertram (CDU), der Bürgermeister von Eschweiler, der Heimatstadt der Eltern. Er macht sich zum Sprachrohr für die Eltern: "Sie sagen, ihr Junge hat nichts mit der NPD zu tun."

Am Tatort haben die Eltern offensichtlich ein Plakat aufgehängt. Es erscheint fast wie ein hilfloser Protest gegen die Internet-Maschinerie der Rechten: "Hört auf, so über unseren Sohn zu lügen", heißt es darauf. "Sieht so ein Rassist aus? Nein. Das sind einige seiner Freunde", steht darauf. Darunter eine Bilderleiste, die einen sympathisch wirkenden jungen Mann fröhlich mit Freunden zeigt: Es könnten junge Leute aus Immigrantenfamilien sein.

Stolbergs Bürgermeister Gatzweiler mag seine schlimmste Befürchtung nur zögerlich aussprechen: Wenn seine Stadt zu einer Pilgerstätte werden würde - das wäre für ihn die größte Katastrophe. Stolberg ist unter den Rechten nicht unbekannt. Die Stadt war Bundesstützpunkt der rechtsextremen und 1994 verbotenen Wiking- Jugend. Die NPD sitzt als Fraktion im Stadtrat. Seit gut zwei Jahren gibt es ein breites Bündnis gegen Radikalismus, das nun über Maßnahmen beraten will. Auch von Sachverständigen will sich die Stadt beraten lassen, was zu tun ist. Nächste Woche Freitag, einen Tag vor der nächsten Demo der Rechten, will die Stadt mit einer Kundgebung ein Zeichen setzen.

Die Stolbergerin Nelly Graf (58) wird hingehen. "Die dürfen hier keinen Platz bekommen", sagt sie. Die Menschen in ihrer Umgebung haben Angst. Türkische Nachbarn, mit denen sie sonst einkaufen geht, bleiben aus Angst zu Hause. Graf: "Da muss man doch dabei sein, wenn es gilt."

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