Der heikle Dreh in Jerusalem

Der Jude Michael Degen spielt einen jüdischen Anwalt im ZDF. In Deutschland beobachtet er eine intellektuelle Verwahrlosung.

Herr Degen, Sie haben nach dem Krieg einige Zeit in Israel gelebt. Wie war es für Sie, dort wieder zu drehen?

Degen: Es war auf jeden Fall weit weniger anstrengend als etwa bei dem Film "Leo und Claire", für den wir in der Altstadt von Jerusalem gedreht haben. Ich hatte Regisseur Joseph Vilsmaier gewarnt, dass das heikel werden könnte. Bei den Dreharbeiten lief ich gekleidet wie ein frommer Jude auf eine versteckte Kamera zu, als ich merkte, das die zwei Leute vor mir unter den Jacken Waffen haben. Ich wusste: Das sind Palästinenser, die wollen mir eine über die Birne hauen. Zum Glück tauchte die israelische Geheimpolizei auf, und die Männer entfernten sich im Laufschritt. Diesmal gab es solche bedrohlichen Szenen nicht. Wir haben bevorzugt in Villen mit wunderbarem Blick auf Jerusalem gedreht.

Degen: Es waren ja auch einige Palästinenser dabei, die in Israel leben, und die Zusammenarbeit war absolut reibungslos. Man darf nicht vergessen: Die Leute waren auch einfach interessiert daran, dass sie Arbeit hatten (lacht).

Degen: Das glaube ich nicht. Da gibt es zu viele Vorurteile, die zum großen Teil auf deutscher Seite liegen. Ich weiß nicht, ob das ausschließlich etwas mit Antisemitismus zu tun hat, aber zum Teil sicherlich. Dieses Volk hat damals schließlich die Nazis gewählt und bis zum letzten Augenblick am "Führer" festgehalten. Diese zwölf Jahre können nicht spurlos am deutschen Volk vorbeigegangen sein.

Degen: Ich halte es für fraglich, ob diese Nachhilfe etwas bringt. Es gibt in Deutschland eine zunehmende intellektuelle Verwahrlosung des Volkes. Vor allem was sich in der jungen Generation abspielt, ist für mich schockierend. Die Gewaltbereitschaft wird immer größer, die Hemmschwelle immer niedriger. Ich erinnere an das, was in München passiert ist, wo Jugendliche an einer S-Bahn-Haltestelle diesen Manager umgebracht haben, der Kindern helfen wollte.

Degen: Ich kann durchaus nachempfinden, dass der Name Mengele in ihrem Haus nicht ausgesprochen werden darf. Was diese Frau an Qualen durchgemacht hat bei den Versuchen an ihr - es ist einfach nicht möglich, über diese Dinge zu sprechen. Ich selber habe es nur ein einziges Mal versucht.

Degen: Ich wollte mit einem Kollegen, der Auschwitz überlebt hat, darüber sprechen, weil ich das für eine Rolle brauchte. Er hat mir auch einiges erzählt. Zum Beispiel wie er als 15-Jähriger auf der Rampe ankam, wo ein hocheleganter Herr in Uniform mit einer kleinen Reitgerte auf ihn zukam und ihn ansprach. Dieser Mann hat ihn zuerst nach dem Bombenangriff auf Essen gefragt und ihn dann auf die Seite geschickt. Das war Herr Mengele. Er wollte nur wissen, ob der Junge reines Deutsch spricht, weil er jemanden fürs Büro brauchte. Die Frau des Kollegen hat mir danach berichtet, dass er nächtelang immer wieder im Schlaf geschrieen hat, weil durch unser Gespräch alles wieder hochkam. Seitdem habe ich solche Fragen nie wieder gestellt.

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