Das Wembley-Tor war sein schwierigster Moment

Reporter-Legende: Fußball-Kommentator Rudi Michel ist im Alter von 87 Jahren gestorben.

Hamburg. Eine der bekanntesten deutschen Fußball-Stimmen ist für immer verstummt. Rudi Michel, über Jahrzehnte via TV-Mikrofon populärer Begleiter von Millionen Fußballfans bei zahlreichen Großereignissen, ist am Montag in Baden-Baden im Alter von 87 Jahren gestorben. Das hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Dienstag mitgeteilt.

Wo die deutsche Nationalmannschaft war, da war auch Rudi Michel nie weit. Von 1958 bis 1982 kommentierte er - mit Ausnahme der Finals 1970 in Mexiko und 1978 in Argentinien - alle WM-Endspiele im deutschen Fernsehen. Von 1948 bis zu seiner Pensionierung 1988 arbeitete Michel für den Südwestfunk.

Weit hinaus über seinen "Unruhestand", wie der gebürtige Pfälzer (geboren am 2.August 1921 in Kaiserslautern) die Zeit nach seinem offiziellen Dienstende nannte, wirkte der gelernte Bankkaufmann an vielen Publikationen mit, engagierte sich für die Sepp-Herberger-Stiftung und war ein gern gelesener Gastkommentator. "Ein glänzender Botschafter des deutschen Fußballs", würdigte DFB-Präsident Theo Zwanziger Michel in einer Stellungnahme.

Dabei brachte der Opernliebhaber und jahrzehntelanger enger Freund von DFB-Ehrenspielführer Fritz Walter dem DFB-Team selten Glück, wenn er am Mikrofon saß. "Manchmal nannte ich mich früher selbst den ,Niederlagensprecher’", erinnerte er sich anlässlich seines 85. Geburtstags.

Die wohl spektakulärste deutsche Fußball-Niederlage im WM-Endspiel 1966 gegen England war für den Vollblutjournalisten Ärgernis und Bewährungsprobe zugleich: "Das Wembley-Tor war die schwierigste Minute in meiner Reporterlaufbahn. Ich habe immer nur daran gedacht, wie ich aus dieser Situation wieder herauskomme. Mache ich die Nation verrückt oder verweise ich auf die sportlich-faire Haltung unserer Mannschaft?" Michel entschied sich dafür, Schiedsrichter und Linienrichter zu schonen und sich jegliche Hetze zu verkneifen, "obwohl es auch mich sehr geschmerzt hat, diese Niederlage zu ertragen".

Weit positiver erlebte er das WM-Endspiel 1954 gegen Ungarn in der Schweiz hautnah mit, ebenso die WM-Endrunde vor zwei Jahren in Deutschland: "2006 hat es der Fußball geschafft, in der Welt ein positives Deutschlandbild zu entwickeln." Erst danach, mit 85 Jahren, ging Michel "wirklich in Pension". Und verfolgte dennoch kritisch, dass sich seine kaum noch zu zählenden Nachfolger und Nachahmer in den Stadien Europas oft mehr selbst feiern als den von ihm so geliebten Fußball.

Rudi Michel galt als bescheidener Mensch und bat darum, auf Nachrufe zu verzichten. Er empfinde so etwas als unangemessen. Diesem Wunsch seines früheren Sportchefs kommt der SWR nach und strahlt keine Sondersendungen aus.

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