Crossboccia: Wenn die Stadt zum großen Spielfeld wird

Beim „Crossboccia“ spielen Treppen, Wände und manchmal auch die Wupper mit.

Wuppertal. Ein grauer Morgen an der Schwebebahn-Haltestelle Ohligsmühle in Wuppertal. Menschen eilen gedankenverloren die Treppen zum Bahnsteig hoch. Bis einer Frau plötzlich mit einem platschenden Geräusch ein bunter Ball vor die Füße fällt. Ein irritierter Blick — ja, hier wird gespielt, und zwar Crossboccia. Die ganze Stadt ist das Spielfeld: Bürgersteige, Gassen, Häuserflure und eben auch Bahnhöfe. Einige Passanten gehen mit einem Lächeln weiter, andere wollen wissen, was es mit den Wurfgeschossen auf sich hat. Der Wuppertaler Timo Beelow erklärt das Spiel gern, schließlich ist er Entdecker und Vermarkter der kreativen Trendsportart.

2009 hat der 29-Jährige seine Idee auf die Welt losgelassen. Inzwischen gibt es „German Opens“ und sogar sogenannte „Weltmeisterschaften“. Alles habe angefangen mit einer „Mischung aus Langeweile und Kreativität“, sagt Beelow. Der Wirtschafts-Student wollte eine Boccia-Variante entwickeln, die man frei in der ganzen Stadt spielen kann. Daher fliegen jetzt vielerorts die bunten Bälle, die wie Sandsäckchen in der Hand liegen, durch die Straßen. Staunende Blicke gibt es gratis dazu. Das Spiel wirbt regelmäßig für sich selbst.

So auch bei dem Selbstversuch in Wuppertal. Gerade kreuzt eine Schulklasse das Spielfeld — eigentlich eine Unterführung. Ein Kind ruft aufgeregt zur Lehrerin, als die Kugeln an ihm vorbei fliegen: „Was ist das denn?“ Vielleicht hat Crossboccia bereits wieder einen neuen Spieler gewonnen. Einem Rentner hingegen gefällt die Aktion gar nicht. Im Vorbeigehen grummelt er: „Geht doch in den Park!“

Das Regelwerk ist normalem Boccia ähnlich. Ein Spieler wirft einen kleinen weißen Ball vor, jeder muss anschließend in drei Versuchen so nah wie möglich an diesen herankommen. „Das Besondere ist, dass man beim Crossboccia seine Umgebung mit einbindet“, erklärt Beelow. Das erinnert an den Vorläufer Crossgolf. Nur ist eine Partie Säckchenwerfen spontaner zu bewerkstelligen als die gefährlichere Variante mit Golfschläger.

Der erste Werfer gibt vor, wie die Bälle gespielt werden müssen. Also etwa über Bande an einer Glasscheibe entlang, die Treppe herunter, durch die Deckenstreben der Schwebebahn-Haltestelle oder gegen den Fahrscheinautomaten. „Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Im Landschaftpark in Duisburg haben wir einmal von einem 70 Meter hohen Turm nach unten geworfen“, sagt der Student. Die Bälle machen viel mit, springen sogar übers Wasser, sind abwaschbar und so weich, dass man nicht viel kaputt machen kann.

Weiter geht’s: Es wird gegen das Geländer des Treppenaufgangs an der Ohligsmühle geworfen. Jeder, der etwas Ballgefühl hat, findet nach fünf Minuten ins Spiel. Klong, ein Ball knallt gegen das Metall. Klong, der nächste Ball. Dann bleibt das erhoffte Geräusch überraschend aus. Beelow hat zu hoch angesetzt, und sein grünes Säckchen ist über das Geländer geflogen. Die Spieler recken ihre Hälse über die Brüstung. Ein einsamer Crossboccia-Ball treibt in der Wupper und entfernt sich mit jeder Sekunde weiter von der weißen Kugel, neben der er eigentlich landen sollte. Beim Crossboccia kann eben alles passieren. Auch das ist Teil des Spaßes.

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