Virengefahr Corona in der Luft: Warum Gastronomen auf Durchzug schalten sollten

Berlin/Mannheim · Die Restaurantbetreiber stehen in den Startlöchern. Viele Gäste lechzen förmlich nach dem ersten Biergartenbesuch nach der Corona-Pause. Doch viele haben schon gehört: Da lauert potenzielle Virengefahr in der Luft. Was hilft aus Expertensicht?

 Yngwie Ehrich, Kellner im Lokal "Herr Pimok" in Köln, rückt Tische zurecht.

Yngwie Ehrich, Kellner im Lokal "Herr Pimok" in Köln, rückt Tische zurecht.

Foto: dpa/Oliver Berg

Im Biergarten weht den Besuchern eh ein laues Lüftchen um die Nase. Aber auch in Restaurants könnte der vielen unliebsame Durchzug bald notwendig werden - wegen Corona. Denn das neuartige Virus verbreitet sich vor allem durch die Luft. Und hier sehen Wissenschaftler - vom Virologen über Mediziner bis zum Physiker - Folgen für das wieder startende Gastgewerbe.

Nach Wochen coronabedingter Einschränkungen des öffentlichen Lebens lockern die Bundesländer seit Tagen ihre Anti-Pandemie-Maßnahmen. Die Wiedereröffnung in der Gastronomie ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Als bundesweiter Vorreiter hat Mecklenburg-Vorpommern Restaurants schon seit Samstag den Betrieb wieder erlaubt. Nordrhein-Westfalen folgte am Montag, am Mittwoch dann Hamburg und Rheinland-Pfalz. In den kommenden Tagen folgen die anderen Ländern. Manche aber gestaffelt. So startet Bayern am kommenden Montag mit der Außengastro. Erst eine Woche später soll es im Innenbereich losgehen.

Das klingt plausibel, folgt man dem Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité. Der Außenbereich sei als relativ sicher einzustufen, sagte er am Dienstag im NDR-Podcast. „Im Außenbereich ist ein Zwei-Meter-Abstand wahrscheinlich gar nicht notwendig.“ Der Wind wehe das Virus weg. In Innenbereichen sollte man genau für diesen Durchzug-Effekte Fenster aufreißen. In Räumen seien wegen der Infektionsgefahr auch Abstandsregeln wichtiger, so Drosten.

Klar ist: Wie viele Viren verbreitet sich auch Sars-CoV-2 durch die Luft. Als Tröpfcheninfektion, aber auch in Form sogenannter Aerosol-Partikel. Das sind kleinste Schwebeteilchen. Inzwischen gibt es mehrere Studien, die nahelegen, dass auch über diese Aerosole eine Ansteckungsgefahr mit dem neuartigen Virus besteht.

Drosten schätzt das Risiko von Tröpfchen- und Aerosol-Infektion nach derzeitigem Stand in etwa gleich hoch ein. Schmierinfektionen machten wohl nur etwa zehn Prozent aus.

Der Physiker Roland Netz von der Freien Universität Berlin hat sich mit der Lebensdauer von virenhaltigen Tropfen beschäftigt. Etwa ein Prozent der Spucke seien gelöste Stoffe wie Viren, sagt er. Wenn der Wasseranteil in den Tropfen verdunstet, werden sie kleiner und die übrig bleibenden Teilchen können länger in der Luft umherschwirren. Daher sei es sinnvoll, die sogenannten Community-Masken zu tragen. So könne eine weite Verteilung der Tropfen eingedämmt werden.

Netz empfiehlt außerdem beispielsweise mit Blick auf Restaurants: „Wichtig ist die relative Luftfeuchtigkeit.“ Diese sollte, wenn sie reguliert werden kann, nicht zu niedrig werden. Dann schrumpften die Tropfen nicht so schnell, und schwerere Tropfen sinken eher zu Boden. „Außerdem trocknen sonst die Schleimhäute aus und werden anfälliger für Viren.“ Klimaanlagen könnten die Luft zudem verwirbeln, gut ausgestattete Geräte sogar Viren aus der Luft filtern, sagt er.

Zu guter Belüftung raten auch Forscher aus China, die sich das Infektionsgeschehen in einem fensterlosen Restaurant angeschaut haben. Sie stellten fest, dass Klimaanlagen durchaus tückisch sein und die Übertragung befördern können. Der Schlüsselfaktor für die Infektionen mancher Restaurantbesucher sei die Richtung des Luftstroms gewesen. „Die Luftströmungsrichtung stimmte mit der Tröpfchenübertragung überein.“ Neben besserer Belüftung empfehlen die Forscher auch einen größeren Abstand zwischen den Tischen.

Erhöht Durchzug also im Zweifel das Infektionsrisiko sogar? Drosten verweist auf den Verdünnungseffekt, der mit frischem Wind einhergehe. Gastwirten empfiehlt er für die Innenbereiche zudem, das Fenster zu öffnen und einen Ventilator so dort hinein zu stellen, dass Luft nach draußen befördert wird. Dann entstehe innen ein Luftstrom. Auch Deckenventilatoren könnten förderlich sein.

In der Branche ist das natürlich längst Thema: Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga Bundesverbandes, erklärt: „Unabhängig von den unterschiedlichen Bewertungen in der Wissenschaft empfiehlt der Dehoga, die Räumlichkeiten häufig zu lüften und Luftbefeuchter zu nutzen.“ Und auch die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe mit Sitz in Mannheim hat den Aspekt in Arbeitsschutzstandards extra zur Corona-Wiedereröffnung in der Gastro aufgenommen: „Es ist sicherzustellen, dass Arbeits-, Sanitär- und Pausenräume regelmäßig gereinigt und gelüftet werden.“

Die Lüftungsanlagen seien fachkundig zu betreiben, Filter sollten regelmäßig gereinigt beziehungsweise getauscht werden, heißt es weiter. „Es empfiehlt sich die Aufstellung eines Reinigungs- und Lüftungsplans. Bei natürlicher Lüftung ist der erforderliche Luftwechsel durch ausreichend häufiges Stoßlüften zu realisieren.“

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