Contergan: Opfer droht ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro

Andreas Meyer hatte zum Boykott von Produkten der Unternehmerfamilie Wirtz aufgerufen. Deswegen muss der Kölner sich jetzt vor Gericht verantworten.

Köln. Ein Boykott-Aufruf von Conterganopfern gegen Produkte der Unternehmerfamilie Wirtz beschäftigt an diesem Mittwoch das Landgericht Köln. Der Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer (BCG) hatte dazu aufgerufen, Produkte der Familiengruppe zu boykottieren.

Zum Firmenimperium gehören der Pharma- und Ex-Conterganhersteller Grünenthal und die Dalli-Gruppe mit dem Wasch- und Reinigungsmittelproduzenten Dalli und dem Kosmetikhersteller Mäurer+Wirtz ("4711", "Tabac") aus Stolberg. Mäurer+Wirtz klagte gegen den Boykott-Aufruf und erreichte eine einstweilige Verfügung.

Der BCG, eine Abspaltung des Bundesverbandes Contergangeschädigter, vertritt den offensiven Flügel der Conterganopfer. Die angekündigte freiwillige Zahlung Grünenthals von 50 Millionen Euro hatte der Vorsitzende Andreas Meyer im vergangenen Jahr als Verhöhnung der Opfer bezeichnet. Seine Organisation fordert einen Schadensausgleich von fünf Milliarden Euro für die 2700 noch lebenden Opfer. Meyer hat weder Arme noch Beine.

"In ihrer Antragsschrift hat das Unternehmen den Boykottaufruf als verwerflich bezeichnet", sagt Meyer. Ihm würden wirtschaftliche Interessen für die Conterganopfer unterstellt. Damit werde der jahrzehntelange Kampf der Opfer um eine gerechte Entschädigung als Gewinnstreben diffamiert, kritisierte er. "Skrupelloser kann man nicht von seiner eigenen Verantwortung an dem Elend Tausender ablenken wollen." Bei jedem weiteren Boykottaufruf drohe ihm persönlich ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro.

"Durch Contergan bin ich zeitlebens Sozialhilfeempfänger. Mögen sie meinen Rollstuhl pfänden kommen", kommentierte Meyer. Auch eine Ordnungshaft schrecke ihn nicht. "Ich habe bereits lebenslänglich - durch meinen contergan-entstellten Körper."

Die Dalli-Gruppe mit rund 2000 Beschäftigten habe zu keinem Zeitpunkt thalidomidhaltige Produkte erforscht, entwickelt, produziert oder vertrieben, betonte der Geschäftsführer der Gruppe, Ulrich Grieshaber, in einer Erklärung: "Wir haben aktuell und auch historisch nichts mit den Vorfällen um Contergan zu tun. Ein Boykottaufruf ist aus diesem Grund unberechtigt und unverantwortlich." Nach Angaben des Unternehmens gibt es Überschneidungen bei den Gesellschaftern.

Weltweit kamen rund 10 000 Kinder mit schweren körperlichen Missbildungen zur Welt - vor allem an Armen und Beinen. Allein in Deutschland waren etwa 5000 Kinder betroffen, viele starben kurz nach der Geburt.

Die Schäden wurden auf die in der Tablette enthaltene Substanz Thalidomid zurückgeführt. Das Pharmaunternehmen hatte im vergangenen Jahr weitere 50 Millionen Euro für die Opfer zur Verfügung gestellt, 50 Millionen kommen aus Bundesmitteln hinzu.

Auch 50 Jahre nach der Markteinführung von Contergan hatte Grünenthal kein Schuldempfinden geäußert. Firmenchef Sebastian Wirtz betonte, dass seine Familie und die Firma keine moralische Schuld an der Tragödie trage, aber eine moralische Verantwortung. Eine Entschuldigung an die Opfer kam für ihn nicht in Frage: "Nein, denn in diesem Wort steckt das Wort Schuld."

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