Bankenkrise: Vom Banker zum Klempner

Wegen der Finanzkrise erlernen in England immer mehr Broker und Banker ein Handwerk.

London. Raus aus dem Nadelstreifen-Anzug - und rein in den Blaumann: Hunderte geschasste Banker aus der britischen Hauptstadt entdecken das Klempnern als zweite Karriere. Umschulen lassen sich die arbeitslosen Überflieger in einer Klempnerakademie bei Kent.

"Die Nachfrage ist vor ein paar Monaten sprunghaft angestiegen", sagt Akademiechef Steven Edwards. "Wir bilden 20 Prozent mehr Leute aus." Die meisten von ihnen sind Ex-Mitarbeiter der Finanzbranche, die Füllfederhalter gegen Rohrreinigungswelle tauschen.

"Die Entwicklungen auf dem Jobmarkt sind in unserer Akademie direkt spürbar. Gefeuerte Banker und Broker wollen jetzt ein Handwerk lernen", sagt Edwards.

Selbst im flexiblen Großbritannien, wo es Abend-Universitäten für Berufstätige gibt und viele mehrmals im Leben den Beruf wechseln, sorgen die Banker-Klempner für Staunen.

Denn mit ihren Qualifikationen sind die Leistungsträger der City außerhalb jener goldenen Quadratmeile wahrlich schwer vermittelbar. Bauarbeiten: zu anstrengend. Zehn-Finger-Schreiben: Fehlanzeige. Landschaftsbau: auch nicht. Kochen: eher nein. Putzen: kaum Arbeitserfahrung.

Zur frischen Kündigung kommt so der Spott der Nation - Delegieren, Millionen verdienen und Golfspielen, diese Fähigkeiten brauche das Königreich zurzeit wirklich nicht.

"Klempnern kann man sehr gut lernen", nimmt Edwards da seine branchenfremden Lehrlinge vor Hohn in Schutz. "Und nach der Ausbildung erwartet sie eine krisenfeste Auftragslage." Verstopfte Rohre, überschwemmte Klos und kaputte Boiler gibt’s auch in der Rezession zuhauf.

Die Quereinsteiger aus London müssen zwar auf ihre riesigen Bank-Bonuszahlungen verzichten, kommen dafür aber in den Genuss völlig neuer Freiheiten: selbstbestimmte Arbeit zum Beispiel und ein vergleichsweise früher Feierabend. "Sie können es als Klempner auf rund 300 Euro am Tag bringen", schwärmt Edwards.

Wie kein anderer kennt er die Misere seiner "Studenten". Manche Finanzexperten, Versicherungsvertreter oder Makler haben schon zwei, drei Mal ihren Job in der City verloren. Andere sind es nach neun Monaten satt, sich zu bewerben und verabschieden sich ganz aus der Branche.

"Mir ist schon vor vier Jahren gekündigt worden", sagt David Falconer. "Mit Ach und Krach habe ich dann noch mal in der Finanzindustrie Fuß gefasst. Als ich dann im April wieder meinen Hut nehmen musste, hatte ich längst den Entschluss gefasst: Ich gehe ins Handwerk."

Am liebsten würde er sich nach der Umschulung selbstständig machen: "Vorher muss ich mich aber noch an das neue Umfeld gewöhnen - die letzten 20 Jahre habe ich ja nur am Schreibtisch gesessen."

Falconers Geschichte ist kein Einzelschicksal: Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien ist in den vergangenen Wochen auf den höchsten Stand seit elf Jahren angewachsen. 2010 könnte es nach Schätzungen der Beratungsfirma Capital Economics sogar 3,3 Millionen Jobsuchende geben.

Ausgerechnet den klempnernden Bankern kommt es da gerade recht, dass das Pfund schwächelt: Tausende polnische Klempner verlassen derzeit die Insel, weil es sich bei dem Kursverlust für sie nicht mehr lohnt, die Trennung von Familie und Heimat in Kauf zu nehmen.

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